Transnationale Kulturprojekte als Impulsgeber für Innovationen im Musikschulbereich

Matthias Krebs | 17. August 2023

Eine Zusammenfassung und ein Überblick zu den Herangehensweisen und Learnings aus der Realisierung des transnationalen Kulturprojekts „MUSIANDRA : Music and Drama – online and together“.

Ziel des mit ERASMUS+ geförderten Projekts MUSIANDRA war es laut Antrag, „Kultur und Kreativität über Ländergrenzen hinweg – auch unter Coronabedingungen – mit Freude und Professionalität umzusetzen“. Im Fokus stand das Ergründen neuer künstlerisch-pädagogischer Optionen, um unter den veränderten Bedingungen in einen transnationalen musikalischen Austausch zu kommen bzw. solche Beziehungen aufrechtzuerhalten. Hierbei spielte die musikalische Nutzung des Internets eine herausgehobene Rolle für die Entwicklung von Konzertprogrammen und innovativen pädagogischen Methoden. Beteiligt waren bei MUSIANDRA neben Vertreter*innen von drei Musikschulen (Frankreich, Island, Deutschland) auch Akteur*innen von Berufsschulen (Deutschland und Türkei), Universitäten (Spanien und Österreich) sowie des Berliner Theaters Volksbühne. In Hinblick auf eine mögliche transnationale Weiterentwicklung von Musikschularbeit beleuchtet dieser Beitrag zentrale Projektereignisse. Er beschreibt vor allem Herausforderungen in der Projektdurchführung und vermittelt Ansätze zur Verwendung des Internets in Bezug auf gemeinsames Musizieren über weite Distanzen. Darüber hinaus enthält der Beitrag Videos, Links, Fotos und Informationsmaterialien sowie einen Podcast, die im Rahmen des Projekts entstanden sind.

Zu den Potenzialen transnationaler Projekte (am Beispiel des Kulturprojekts MUSIANDRA) findet sich auch ein Beitrag in der Zeitschrift Üben & Musizieren 2023_5 mit dem Titel „International vernetzt musizieren“: Link zum Beitrag

// MUSIANDRA is funded by the European Union. Views and opinions expressed are however those of the author(s) only and do not necessarily reflect those of the European Union or the European Education and Culture Executive Agency (EACEA). Neither the European Union nor EACEA can be held responsible for them.

Inhaltsverzeichnis (mit Sprungmarken-Links):

1. Einstieg

Welche Möglichkeiten und Chancen können sich aus internationalen Projekten ergeben? Welche Herausforderungen erwarten die Beteiligten, wenn sie sich auf internationale Kooperationen einlassen? Welche Faktoren tragen dazu bei, dass Kooperationen erfolgreich umgesetzt werden können? Dieser Beitrag will anhand des transnationalen Projekts MUSIANDRA konkrete Erfahrungen zusammenfassen und erste Antworten geben.

Ein Dialog zwischen Musiker*innen bzw. Lehrkräften erweitert oftmals die eigenen künstlerischen und/oder pädagogischen Erfahrungen. Transnationale Projekte können dafür einen besonderen Rahmen bieten – einen projektartigen oder spielerischen Kontext, in dem gemeinsam experimentiert werden kann. Die Ergebnisse entstehen dabei „nicht mehr [als] eine geniale Einzelleistung, sondern [sind] mehr oder weniger ausgeprägt das Resultat gruppendynamischer Prozesse“ (Kleinen 2003: 16). Die hinter solchen kollaborativen Handlungsprozessen liegende implizite Theorie bietet mit Diversität und Interkulturalität Konzepte, die die vielfältigen Möglichkeiten hervorheben, einen Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und im dialogischen Prozess gemeinsam besser zu verstehen.

Die Einführung von Kooperations- und Kollaborationsmodellen im Musikschulbereich haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Erweiterung und Bereicherung geführt (vgl. Esterbauer 2021: 161). Kooperationen zwischen Schulen und Musikschulen gibt es in mannigfaltiger Form und mit diversen inhaltlichen Ausrichtungen (vgl. VdM 2005): als wöchentliche Praxisgruppen; als Konzertprojekte, die über eine Anzahl an Probenterminen realisiert werden; als kompakte Projektwochen oder als punktuelle Workshops. Interkulturelle, transnationale Projekte sind im Musikschulbereich jedoch insgesamt noch rar gesät. Ein Beispiel ist das „International Music School Seminar“ (IMS), ein grenzüberschreitender Zusammenschluss von Musikschulen aus dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Luxemburg, Holland, Flandern, Wallonie und Nordrhein-Westfalen. Eine Studie zu Bildungsangeboten  zum interkulturell orientierten Lernen und Musizieren ist jüngst von Völker & Buchborn (2023) erschienen, in der Akteur*innen auf der Leitungsebene baden-württembergischer Musikschulen untersucht wurden.

International zu sein – verändert.

Projekte, in denen Akteure*innen aus unterschiedlichen Kulturen beteiligt sind, machen eine Vielfalt an Bildungskulturen erfahrbar und ermöglichen das Kennenlernen von unterschiedlichen Perspektiven und Haltungen. Sie bieten die Chance, (neue) Visionen zu entwickeln und einem größeren Kreis von Musikpädagog*innen zugänglich zu machen; sie ermöglichen die Erfahrung eines Gruppenarbeitsprozesses von der Idee bis zur Präsentation; sie bieten nicht zuletzt Gelegenheit zum Diskutieren und Musizieren (vgl. Sammer 2013: 39). So können transnationale Projekte im weiteren Sinne Lernplattformen sein sowie eine Grundlage, um etwas Neues zu kreieren oder Synergien zu nutzen. Darüber hinaus werden, angesichts einer kulturell immer diverser werdenden Schüler*innenschaft, mehr interkulturelle Kompetenzen von den Lehrkräften gefordert (vgl. Kertz-Wetzel 2018).

Gruppenfotos mit Beteiligten der transnationalen Treffen. Links Paris (2022), Rechts Izmir (2023)

Neben der institutionellen Ebene bietet eine Internationalisierung „oft die Geschichte einer transnationalen Freundschaft und hat damit eine individuelle Seite“ (Kertz-Wetzel 2021: 257). Sie betrifft die Beteiligten, die sich auf den Prozess einlassen und ihn aktiv mitgestalten. Denn dies stellt eine individuelle Herausforderung dar und bewirkt persönliche Veränderungen: Vor allem die Entwicklung eines Global Mindsets (vgl. Kertz-Wetzel 2018: 97-101), das Fähigkeiten kultureller Flexibilität und Offenheit beschreibt und psychologische, intellektuelle und soziale Ebenen umfasst. (Die soziale Komponente beschreibt die Fähigkeit zum Networking, Kontakte zu Kolleg*innen in verschiedenen Ländern aufzubauen und zu kooperieren, was sich bei MUSIANDRA als besonders wertvoll zum Gelingen herausgestellt hat.)

So bieten transnationale Projekte zwischen Musikschulen große Potenziale einerseits für Wandel – sind sie so angelegt, dass sie substanziell die Identität einer Institution betreffen und zu einer Neuorientierung führen – und andererseits für die persönliche Entwicklung der beteiligten Vertreter*innen.

Herangehensweise

Im Zentrum des auf ein gemeinsames Experimentieren ausgerichteten Projekts standen vor allem Fragen zu Bedingungen und technischen Ansätzen bei gelingenden Kooperationen von Kultur- und Bildungsinstitutionen zur Realisierung transnationaler, künstlerisch-pädagogischen Vorhaben. Welche Strukturen und Strategien zur Kommunikation erweisen sich als tragfähig? Welche technischen Ansätze zum gemeinsamen Musizieren über das Internet sind bei der Projektarbeit von Musikschulen tatsächlich realisierbar und erweisen sich in welcher als Weise nützlich? Welche Maßnahmen unterstützen oder hemmen die Entstehung innovativer Lösungsansätze im Musikschulbereich?

Die Erkenntnisgewinnung orientierte sich bei MUSIANDRA am Stil partizipativer Forschung (vgl. Ackermann 2020; von Unger 2014). Partizipative Forschung bezieht sich auf eine Herangehensweise, bei der die Menschen, um die es in der Forschung gehen soll, aktiv und gleichberechtigt am Forschungsprozess beteiligt werden (vgl. Bergold & Thomas 2012). Damit verbindet sich das Anliegen, dem Wissen der Nutzer*innen und ihrem Akteur*innenstatus Anerkennung zu verschaffen. D. h. die Beteiligten werden nicht als reine Objekte der Forschung betrachtet, sondern als Subjekte, als „Co-Forschende“ oder „Forschungspartner*innen“ (vgl. von Unger 2014). Dabei geht es häufig im Bereich der Bildungsforschung um die Identifizierung von Bedingungen, die die Aneignungsprozesse der Zielgruppe in Bezug auf die Autonomie ihrer Bildungsarbeit (hier: die Aufrechterhaltung oder Intensivierung der Musikpraxis in internationalen Kooperationsprojekten) fördern oder einschränken.

Konzeptionstreffen im Rahmen des Austauschtreffens in Isafjördur (Island) im Mai 2022.

Zentrale Projektbeteiligte bei MUSIANDRA waren ca. zwölf Akteur*innen (Kerngruppe) aus den Bereichen Bildung, Musikschule und Theater, die verschiedene künstlerisch-pädagogische Projekte (vor allem Online-Musikmachen und Konzerte) konzipierten, durchführten, dokumentierten, evaluierten und reflektierten. Über die künstlerisch-pädagogische und organisatorische Projektarbeit hinaus wurden von ihnen Fotos und Videoaufnahmen gemacht, Interviews und (Online-)Befragungen durchgeführt und in Gesprächsrunden Lesarten der gesammelten Daten miteinander verglichen. Außerdem überlegten die Projektbeteiligten gemeinsam Formate, wie die Erkenntnisse für Interessierte veröffentlichbar aufbereitet und präsentiert werden können.

Die Teilnehmenden dieser Kerngruppe verband das Interesse Wege zu finden, auf unterschiedliche Weise (musikalisch) in Austausch zu kommen und zu bleiben, um gemeinsam künstlerisch-pädagogische Projekte zu realisieren. Die dabei entstehenden Erfahrungen sollten, im Sinne von Best-Practice-Beispielen anderen (Lehrkräften) zur Verfügung gestellt werden.

Damit bestand mit MUSIANDRA in Kombination mit dem partizipativen Forschungsansatz ein Rahmen Veränderungen in den beteiligten Institutionen und darüber hinaus im Forschungsfeld anzustoßen. Durch die Präsentationen (bzw. moderierten Veranstaltungen) und Dokumentationen wurden die im Projekt entwickelten Ansätze nicht nur für viele andere Interessierte hörbar und sichtbar (etwa bei internationalen Begegnungen, in Konzerten und im Social Web), sondern es wird dabei auch die Agency der Beteiligten betont (vgl. Ackermann 2020). Damit zielte das experimentelle Projekt nicht nur auf die Generierung von Wissen ab, sondern auch auf die Förderung von Empowerment und positiven Veränderungen für die beteiligten Personen und Institutionen.

2. Background

Das Projekt MUSIANDRA war ein internationaler Zusammenschluss von verschiedenen Bildungsinstitutionen bestehend aus

Am Projekt waren Akteur*innen von Berufsschulen (Berlin und Izmir (Türkei)), Universitäten (Barcelona und Salzburg) und des Berliner Theaters Volksbühne – vor allem aber eine große Zahl an Musikschullehrkräften (aus dem Klavierfach und Bandbereich) aus Musikschulen in Berlin, Charenton-le-Pont Paris und Isafjördur (Island) beteiligt. Die Beteiligung charakterisierte ein flach hierarchisch strukturiertes Miteinander, das von dynamischen Bewegungen der Akteur*innen in einem Feld zwischen den Polen von neu Dazugekommenen und Mitgliedern eines Kernteams geprägt war. Darüber hinaus partizipierten (phasenweise) ca. 20 erwachsene Schüler*innen sowie ca. 20 jugendliche Schüler*innen der Bildungseinrichtungen.

Ziel des mit ERASMUS+ geförderten Projekts MUSIANDRA war es laut Antrag, „Kultur und Kreativität über Ländergrenzen hinweg – auch unter Coronabedingungen – mit Freude und Professionalität umzusetzen“. Das Projekt wurde im Bereich der Erwachsenenbildung bewilligt und ging insgesamt vom 1. März 2021 bis zum 31. August 2023. Im Fokus stand das Ergründen neuer künstlerisch-pädagogischer Optionen, um unter den veränderten (digitalen) Bedingungen in einen transnationalen, musikalischen Austausch zu kommen und zu bleiben.

Dorlies Radike-Thiel eröffnet die Abschlussveranstaltung im Juni 2023 im Roten Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin.

MUSIANDRA wurde von Dorlies Radike-Thiel (OSZ TIEM) initiiert, die durch ihre Fähigkeiten zum Networking und zur Kooperation, bereits viele Möglichkeiten globaler Vernetzung geschaffen und einige internationale Bildungsprojekte durchgeführt hatte und somit auf eine Anzahl internationaler Institutionen und Akteur*innen zurückgreifen konnte. Nach dem Schneeballprinzip hatten dann diese Akteur*innen weitere Partner*innen dazu geholt. Darüber hinaus wurde nach Expert*innen recherchiert – so kam Matthias Krebs von der Forschungsstelle Appmusik als wissenschaftlich-pädagogischer Berater zu musikpädagogischen, digitalspezifischen Fragen zum Projekt.

Die Projektmittel waren von den Partner*innen vor allem als Reisekostenbudgets vorgesehen, um zu ermöglichen, dass die Akteur*innen der Institutionen sich gegenseitig besuchen und zu künstlerischen Projekten treffen konnten – um proben, in gemeinsamen Konzerten musizieren und Theater spielen (daher der Projektname „MUSIANDRA: music and drama – online & together“) sowie sich vor Ort informell austauschen zu können. Insgesamt haben neun größere transnationale Austausch- und Projekttreffen in Berlin (3x), Charenton-le-Pont Paris (2x), Isafjödur (1x), Izmir (2x), Salzburg (1x) stattgefunden. Die Gesamtprojektmittel betrugen 198.680 Euro.

Ein zweiter prominenter Projektinhalt neben dem künstlerischen und kulturellen Austausch vor Ort war das Experimentieren mit verschiedenen Ansätzen, das Internet für künstlerisch-pädagogische Interaktionen zu nutzen. Hierfür wurden in regelmäßigen Meetings verschiedene Online-Plattformen genutzt und auch Erfahrungen mit solchen Plattformen gemacht, die es ermöglichten, live miteinander zu proben sowie sogar Konzerte vor Publikum online von verschiedenen Orten aus zu realisieren.

3. Bühnenperformance über das Internet in Salzburg

Ein Höhepunkt des Projekts war der Beitrag von MUSIANDRA im Eröffnungsprogramm der International Days 2022 an der Universität Mozarteum Salzburg (1. bis 4.12.2022), die unter dem Motto „Sharing“ standen. Im großen Konzertsaal (Solitär) des Mozarteums fand eine von Matthias Krebs moderierte Konzert-Aufführung mit drei Bestandteilen statt, in denen über das Internet live miteinander musiziert wurde (Link zum Videomitschnitt der Veranstaltung). Es wurden zwei Klavierstücke zu vier Händen von Klavierschüler*innen wechselseitig aus Berlin, Charenton-le-Pont Paris und Isafjördur (Island) aufgeführt, die jeweils von den jeweiligen Musikschulen aus zusammenspielten. Danach fand ein kurzes Rockmusik-Konzert statt, bei dem drei Musiker*innen der Musikschul-Band Wildberries von Salzburg aus und drei weitere Bandmitglieder vom Proberaum in Berlin aus live performten.

Foto vom Auftritt der Wildberries im Konzertsaal der Universität Mozarteum Salzburg bei den International Days 2022. Es spielen dreii der insgesamt sechs Bandmusiker*innen auf der Bühne – die anderen spielen von Berlin aus.

Zum Abschluss des Programmbeitrags von MUSIANDRA erhielten Anwesende im Konzertsaal die Gelegenheit, eigene Erfahrungen im vernetzten Musizieren über Distanz zu machen und ein Gespür dafür zu bekommen. Dazu wurden zwei Gruppen von jeweils 15 Experimentierwilligen auf die Konzertbühne des Salzburger Mozarteums eingeladen. Sie erhielten Kopfhörer und daraufhin die Möglichkeit, den bekannten „Andachtsjodler“ mit Orgelbegleitung – live gespielt von der Musikschule in Berlin aus – zu singen. Als spontan das gesamte Publikum im Saal mitzusingen begann, kam Gänsehautstimmung auf.

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4. Durchführung

Die Projektarbeit bestand insgesamt aus der Realisierung einer ganzen Reihe verschiedener internationaler, künstlerisch-pädagogischer Vorhaben im Musik- und Theaterbereich. MUSIANDRA ermöglichte den beteiligten Akteur*innen der Bildungsinstitutionen aus Berlin, Charenton-le-Pont Paris, Island, Österreich und der Türkei, in konkreten Vorhaben methodisch-didaktisches Neuland zu betreten und Neues zu wagen. Dabei galt es diverse Herausforderungen zu meistern und Strategien zu entwickeln, die eine regelmäßige Kommunikation und Beteiligung, eine geteilte Organisation sowie nicht zuletzt erfüllende musikalische Interaktionen unterstützen – in kulturellen Austauschtreffen vor Ort sowie damit verbunden online über das Internet.

Die Erkenntnisse zur Realisierung der internationalen Konzerte und Begegnungen wurden dokumentiert und auf einer Projektwebseite (www.musiandra.org und YouTube-Channel & Instagram) sowie in diesem Beitrag online in Form einer zugänglichen Sammlung zur Verfügung gestellt, die generell Lehrenden (neben Musiklehrkräften auch Lehrkräften anderer Fächer, wie Fremdsprachen etc.) und Lernenden einen bunten Blumenstrauß an Ansätzen bieten kann.

Zentrale Learning zu den Ansätzen der Kommunikation und Organisation bei MUSIANDRA werden weiter unten im Abschnitt 7 zusammengefasst.

Zentrales Element der Projektarbeit war ein regelmäßiger Austausch in Form von wöchentlichen Online-Jour-Fixe, an dem sich eine Kerngruppe von Vertreter*innen der beteiligten Institutionen beteiligten. Hier wurden die einzelnen Vorhaben gemeinsam entwickelt, geplant und reflektiert. An den etwa einstündigen Zoom-Konferenzen nahmen in der Regel sechs bis zehn Teilnehmende teil. Es wurde Englisch gesprochen, was für einige der Beteiligten eine Herausforderung war.

Wöchentliches Jour Fixe von Vertreter*innen der Projektpartner*innen zu organisatorischen Belangen. Der Screenshot zeigt eins der ersten Treffen im März 2021.

Neben organisatorischen Belangen zu Realisierung der Projekttreffen bildeten einerseits Ansätze zum Online-Unterrichten und -Proben die Hauptelemente des regelmäßigen Austauschs, andererseits praktische Ansätze für Konzertaufführungen und Videoproduktionen, womit die Projektaktivitäten öffentlich sichtbar und hörbar gemacht wurden.

Zu Projektbeginn (März 2021) lag der Fokus aufgrund der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen stark auf verschiedene Möglichkeiten, online in Kontakt zu sein und künstlerisch-pädagogisch miteinander zu arbeiten. Dazu war es zunächst für die Beteiligten notwendig sich im Bereich online-Unterricht fit zu machen. Zudem wurden spezielle Hardware, Software sowie Online-Plattformen benötigt, die früher von den Projektbeteiligten nicht benutzt wurden. Durch die gegenseitige Unterstützung wurde die Einarbeitung erleichtert und in gemeinsamen Projekten ausprobiert und weiterentwickelt. So wurde zunächst zusammen nach verschiedenen Online-Plattformen recherchiert, die sich für die Beteiligten als nützlich erweisen könnten. Darunter waren Online-Plattformen wie Padlet, Noteflight, Seeing Music etc. (siehe auch hier: LINK – Beitrag zu Online-Musikplattformen), die vorgestellt und zusammen ausprobiert wurden. Des Weiteren wurden bei Projekttreffen auch bereits erprobte künstlerisch-pädagogische Ansätze vorgestellt und diskutiert – z. B. Online-Musizieren (LINK – Blogbeitrag zu Online-Musiziererfahrungen) sowie auch zur Durchführung von musikalischen Bildungsprojekte über das Internet im Kinder- und Jugendbereich (LINK – Blogbeitrag zu Ideen für Online-Musikworkshops).

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In der zweiten Hälfte des Projekts (ab Februar 2022) wurde der Fokus leicht verschoben, da einerseits im ersten Jahr bereits sehr interessante Ansätze für die Realisierung von künstlerisch-pädagogischen Interaktionen sowie von Online-Konzerten realisiert werden konnten (siehe dazu ausführlicher im Folgenden) und andererseits die Kontaktbeschränkungen in den beteiligten europäischen Ländern wieder stark zurückgenommen wurden. Die angepasste Ausrichtung der Projektziele fokussierte nun die Entwicklung von Ansätzen, auf vertiefte Weise miteinander musikalisch in Kontakt zu sein und online und offline miteinander zu verknüpfen.

Als zentrales Medium zur Ergebnispräsentation wurde sich für das Format Podcasts entschieden. So sind letztlich elf Folgen in verschiedenen Längen entstanden, an denen neun verschiedene Projektmitglieder beteiligt waren.

 

Im Folgenden werden ausschnitthaft einzelne Projektphasen näher beschrieben, um Veränderungen zu veranschaulichen. Herausgegriffen werden hierfür Unternehmungen im Fachbereich Klavier und Bandunterricht.

4.1 MUSIK (KLAVIER)

Im Juni 2021 wurde sich auf ein musikalisches Vorhaben geeinigt, bei dem Klavierschüler*innen der verschiedenen beteiligten Musikschulen in Berlin, Charenton-le-Pont Paris und Isafjördur (Island) ein Programm von Stücken zu proben und in einem gemeinsamen Konzert zu präsentieren. Im Zuge der näheren Konzeption entwickelte sich bereits wenige Wochen die Idee das Internet als Möglichkeit zum Proben zu nutzen und das Programm auch in einem Online-Konzert live zu spielen. Daran waren schließlich an den drei Standorten insgesamt 7 Lehrkräfte (darunter Vanessa S. (Charenton-le-Pont Paris), Margret G. (Isafjördur) und Alexander M. (Berlin)) und 15 Klavierschüler*innen (4 aus Frankreich, 6 aus Island, 5 aus Berlin; 13 – 18 Jahre alt) beteiligt. Es wurden Stücke ausgewählt, die im Schwierigkeitsgrad nicht nur den Fähigkeiten/dem Niveau der Schüler*innen angemessen waren, und den Spielenden, den Unterrichtenden sowie den Zuhörenden Spaß machten, sondern auch für das Online-Spiel geeignet erschienen (siehe nachfolgend im Konzert-Programm).

Es dauerte einige Monate, bis die Technik überall verfügbar war, die LAN-Buchsen in den Musikschulen freigegeben und auch in Workshops die technische Bedienung vermittelt wurde. Schließlich wurden die Proben unter Pandemiebedingungen ab November 2021 die Proben komplett online über die Plattform Jamulus realisiert. Diese Phase baute auf einem gemeinsamen Projekttreffen im Oktober 2021 in Berlin auf (finanziert über das Deutsch-Französische Jugendwerk), bei dem sich die Beteiligten untereinander kennenlernten, eine Probephase durchliefen und einige Stücke aus dem Programm in einem Werkstatt-Konzert aufführten.

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Im Zuge intensiver Recherchen und Test-Sitzungen von verschiedenen Projektbeteiligten hatte sich die Plattform Jamulus als nutzbar erwiesen, die im Vergleich zu Zoom eine sehr geringe Latenz bot und so das (vierhändige) Zusammenspiel ermöglichte. Im „Kampf gegen Latenz“ (besser: in Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Distanz) wurde von den Klavierpädagog*innen in regelmäßig stattfindenden Online-Proben eine gewisse Souveränität im Umgang mit der digitalen Technik (Mikrofon, Mini-Computer, Kopfhörer etc.) und den Online-Plattformen entwickelt.

Leitend war die Überlegung, dass es sich beim gemeinsamen Online-Musizieren weniger um die Realisierung einer Verbindung von zwei weit entfernten Orten handelt; es wurde vielmehr die Jamulus-Probe als eine Situation verstanden, in der man sich nicht an einem physischen Ort gemeinsam musiziert, sondern durch das Einrichten einer Jamulus-Verbindung und dem Aufsetzen des Kopfhörers sich im Cyberspace – einem Raum mit einer veränderten gegenseitigen (akustischen) Wahrnehmung – trifft. Dieser virtuelle Raum (Cyberspace) besitzt eine veränderte „Physik“ für das gemeinsame Musizieren, die sich von einem herkömmlichen Proberaum unterscheidet (man nimmt sich und die Mitmusizierenden anders wahr). D. h. will man dort musikalisch in Interaktion treten, muss man sich diesen Raum sinnlich-körperlich als Interaktionsraum aneignen – also nicht allein die richtigen Noten spielen können, sondern sich auch an die spezifische Akustik und das veränderte Zusammenspielen körperlich gewöhnen.

Das Internet verstehen wir als einen neuartigen Probenraum zum Musizieren, der eine ganz eigene „Physik“ hat – womit auch neue Formen von Musik und musikalischer Interaktion verbunden sind. Um in diesem Raum mit Mitspielenden in Beziehung treten sowie sinnerfüllt und mit Leib und Seele zusammenspielen zu können, bedarf es einer Eingewöhnung, für die es Lern-Strategien braucht, die erst sozial – im künstlerischen Projekt – entwickelt werden müssen. Bei MUSIANDRA wollen wir uns unter anderem mit vierhändiger Klaviermusik beschäftigen und schauen, wie sich ein solche Aneignung des Cyberspace zum Zusammenspiel an voneinander weit entfernten Klavierspielenden realisieren lässt.“ (aus der Beschreibung einer Projektphase)

Die Online-Proben wurden überwiegend jeweils von einem speziell präparierten Unterrichtsraum der beteiligten Musikschulen durchgeführt. An den Terminen versammelten sich jeweils die Schüler*innen in Charenton-le-Pont Paris und Isafjördur gemeinsam mit den Lehrkräften in einem Unterrichtsraum. Dann wurde gewartet und nacheinander die Stücke durchgespielt. Die Schüler*innen in Berlin nahmen größtenteils von Zuhause an diesen Proben teil. Auf Grund der vielen an den Probenterminen beteiligten Schüler*innen wurden die Termine eher zum Durchspielen der Stücke genutzt und weniger für eine musikalisch-interpretative Arbeit. Die Möglichkeit, dass die Schüler*innen selbstständig von zu Hause miteinander üben, wurde mehrfach diskutiert, wurde jedoch in Charenton-le-Pont Paris und Isafjördur nicht realisiert.

Am 22. Januar 2022 fand schließlich ein Online-Konzert statt, bei dem das Programm aus 20 Klavierstücken zu vier Händen bestand. Das Publikum (ca. 50 Interessierte) wurde kurzfristig von den Beteiligten persönlich eingeladen. Das folgende Video ist ein Mitschnitt des Online-Konzerts:

Programm des Online-Konzerts am 22. Januar 2022.

Für das Konzert wurde eine Querverbindung von Jamulus zu Zoom hergestellt, um die Performance dem Publikum technisch vereinfacht zugänglich zu machen (d. h. die Schüler*innen hörten sich über Jamulus). Spontan wurde auch eine Moderation realisiert, in der das Projekt und die Besonderheiten des Konzerts erläutert wurden. Im Ergebnis äußerten sich die Beteiligten sehr zufrieden mit dem Konzert.

Im Nachhinein wurden Interviews unter den Projektbeteiligten geführt, um zu erkunden, wie die Probenprozesse und die Konzertpräsentation weiter verbessert werden könnten. Die Ergebnisse wurden in einer Präsentation zusammenfasst, die u. a. auf der Webseite veröffentlicht wurde.

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Im Folgenden sollen Beobachtungen zur Organisation und Durchführung von „normalen“ Musikschul-Konzerten im Vergleich zum Online-Konzert zusammengefasst werden:

Im Vergleich des Online-Konzerts mit anderen Projekt-Konzerten, die gemeinsam an einem Ort bei Austauschtreffen (z. B. in Charenton-le-Pont Paris oder Berlin) gespielt wurden, waren interessante Unterschiede in der Präsentation beobachtbar.

  • Die gemeinsamen Konzerte, die im Konzertsaal der Musikschule stattfanden, wurden von der jeweiligen Musikschule (insbesondere von den Klavierlehrkräften) im Vorfeld aufwändig angekündigt und wurden viele Plakate und Hinweise ausgehängt. Zudem wurde für Kameramitschnitt und ein schön gestaltetes Konzert-Programm gesorgt. Die Konzerte wurden z. B. mit Reden des Bürgermeisters, der Beauftragten für Internationales sowie dem Musikschulleitenden eingeführt und liefen dann wie – im Programmheft dargestellt – ab.

Projekt-Konzert beim transnationalen Austauschtreffen in Charenton-le-Pont 2022

  • Für das Online-Konzert wurde versäumt eine Einführungsrede zu planen, es lag kein Programm-Blatt vor (allein eine interne Soundcheck-Liste, in der die Stücke und die jeweils Spielenden aufgeführt waren) und es wurde keine Moderation verabredet, die das Publikum über den Anlass und einzelne Stücke informierte. (Ganz spontan hatte sich während des Soundchecks eine Person die Initiative übernommen, das Publikum kurz über das Projekt zu informieren und auch die Wechsel zwischen den Stücken zu moderieren.) Irgendwie hatten keine*r der 7 Klavierlehrkräften im Blick gehabt, dass es sich um ein ganz besonderes Konzert handelt – vielmehr sorgte man sich darum, dass die Technik funktioniert. Vielleicht war auch die extrem flache Organisationsstruktur im Projekt ein Grund, dass sich niemand für den Konzert-Ort Internet als „Veranstalter*in“ verantwortlich fühlte – die Zuständigkeiten und die Gastgeberrolle wurden hier also verändert wahrgenommen und waren nicht mehr so klar.

All diese Aspekte sind im Nachhinein in der gemeinsamen Reflexion aufgefallen. Daran anschließend wurde ein neues Konzept erstellt, bei dem versucht wurde, die Organisation umzustellen und Abläufe besser zu planen. Zudem wurde sich darüber verständigt, die Proben musikalischer zu gestalten – d. h. mehr Zeit zu nehmen, um auf die Gestaltung intensiver zu entwickeln.

Das MUSIANDRA-Kit: so einfach wie die Verwendung einer Spielkonsole?

Die Online-Musizierplattform Jamulus (https://jamulus.io/de/) ist aktuell speziell unter Musiker*innen weltweit stark verbreitet, wenn es darum geht, über das Internet zusammen zu musizieren. Während der Corona-Pandemie hatten auch einige Musikschulen mit Jamulus bereits viele gute Erfahrungen. Vor allem verschiedene Laien-Chöre (siehe hier z. B. Stephan Wolke (Erklärvideos, MS Hamm) und Jürgen Slak (Musikschulleiter, MS Bottrop) sowie Blasmusik-Ensembles (Dr. Peter Mall) oder Mandolinenorchester (Hennef-Kurscheid 1924 e.V.)) haben auf diese Weise in der Phase der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen weiter miteinander proben können. (Es gibt auch noch alternative Plattformen, wovon hier noch einige vorgestellt werden: LINK – Beitrag zu Online-Musikplattformen)

Um zu erreichen, dass die technischen Hürden zur Teilnahme der Lehrkräfte und Schüler*innen im Projekt auf ein Minimum reduziert sind – vor allem unabhängig von der Verfügbarkeit und Konfiguration privater Laptops und technischer Ausstattung sind, da diese individuell konfiguriert werden müssten – wurde für das Projekt MUSIANDRA ein Komplettpaket zusammengestellt: das MUSIANDRA-Kit. Vision war es, dass damit der Zugang für die Beteiligten zum gemeinsamen, online-basierten Musikmachen organisatorisch so einfach werden sollte, wie man es von der Bedienung von modernen Spielkonsolen kennt.

Siehe dazu auch der Blogbeitrag http://forschungsstelle.appmusik.de/musikpraxis-online-im-ensemble-proben-mit-jamulus/

Das MUSIANDRA-Kit wurde von den Lehrkräften in Charenton-le-Pont Paris und Isafjördur jeweils in den Musikschulen genutzt. Es dauerte jeweils eine Zeit, bis die technischen Bedingungen (z. B. ein Unterrichtsraum mit LAN-Buchse, Netzwerkeinstellungen und langes LAN-Kabel) verfügbar waren. Waren diese Bedingungen erfüllt, funktionierte die Nutzung spätestens bei der dritten Probe ohne größere Probleme und auch ohne technische Betreuung. Die Lehrkräfte wurden in Online-Workshops in die Realisierung des Aufbaus und der Verbindung zum Jamulus-Server eingewiesen. Die Möglichkeit das die Klavierschüler*innen (und Lehrkräfte) von Zuhause selbstständig mit ihren Partner*innen proben können, wurden weder von den Lehrkräften noch von den Schüler*innen in Charenton-le-Pont Paris und Isafjördur verfolgt – trotzdem mehrere Angebote gemacht wurden (siehe auch in der Broschüre).

In Berlin wurden 2021 insgesamt sechs MUSIANDRA-Kits angeschafft und die Klavierlehrkräfte in einem Workshop in ihre Nutzung eingewiesen. So nahmen die Klavierschüler*innen und -lehrkräfte von Zuhause aus an den Proben teil. Dabei zeigten sich jedoch auch viele Hürden: Es erforderte, dass das Klavier in der Nähe eines LAN-Anschlusses stand. Außerdem war auch bei den Schüler*innen Übung notwendig, das Mikrofon und die Jamulus-Einstellungen für das Zusammenspiel sinnvoll zu wählen. Nach zwei Probenterminen, die von den Berliner Klavierlehrkräften (remote) unterstützt wurden, nahmen die Berliner Schüler*innen selbstständig und selbstorganisiert an den Proben teil. (In einer nachfolgenden Projektphase haben andere Berliner Schüler*innen auch ohne MUSIANDRA-Kits und stattdessen mit ihren privaten Laptops eine Verbindung zum Jamulus-Server herstellen können.)

Da die Online-Musizierplattform Jamulus darauf optimiert ist, den Ton möglichst verzögerungsarm über das Internet zu übertragen, wurde von den Jamulus-Entwickler*innen auf eine Videofunktion verzichtet. Um die Kommunikation und musikalische Interaktion bei den Proben visuell zu unterstützen, hat es sich als von Vorteil erwiesen, parallel noch eine Videoverbindung über Zoom oder WhatsApp herzustellen. Dazu wurde jeweils die Smartphones verwendet, da es technisch kompliziert ist, auf einem Gerät an zwei Verbindungen parallel teilzunehmen.

4.2 MUSIK (BAND)

Im Anschluss an die ersten positiven Erfahrungen, mittels der Plattform Jamulus über das Netz miteinander musizieren zu können und sogar Konzerte zu realisieren, wurden von den Projektbeteiligten weitere Vorhaben entwickelt, auch in größeren Ensembles gemeinsam Musik zu machen. So wurde parallel zur Weiterentwicklung der Klavierprojekte auch Bandprojekte konzipiert. Zunächst wurde zwischen den Musikschulen Berlin und Charenton-le-Pont Paris ein Online-Projekt realisiert.

Bei der ersten Online-Probe der beiden Ensembles weilte Dorlies gerade noch in Isafjördur. Am Mischpult Jan Hoppenstedt.

Im Sommer 2022 (Mai-Juni) fanden drei Proben der Berliner Band Wildberries (eine Band, die sich aus fünf erwachsenen Musikschüler*innen der Leo-Kestenberg-Musikschule Berlin-Schöneberg zusammensetzt) gemeinsam mit einer Big-Band (mit etwa 12 Spieler*innen) der Musikschule André Navarra in Charenton-le-Pont Paris. Die Proben unter der Leitung von Jan Hoppenstedt und Lucas Firmbach. (Berlin) sowie Audrey B. und Siegfried C. (Paris) erfolgten jeweils zu verabredeten Terminen in den Unterrichtsräumen der Musikschulen über Jamulus (und Zoom) statt.

Online-Probe zwischen Charenton-le-Pont (BigBand) und Berlin (Wildberries-Band).

Eine Aufführung von drei Stücken fand im Rahmen der Fête de la Musique am 21. Juni 2022 im Theater Deux Rives in Charenton-le-Pont Paris statt, wobei die Bandmitglieder der Wildberries zu Gast in Charenton-le-Pont Paris vor Ort waren.

Musikerinnen der Wildberries entdecken ihr Projekt im Schaukasten in Charenton-le-Pont.

Im Jahr zuvor (2021) war das Reisen noch nicht möglich und auch das Wissen um Möglichkeiten zum Proben über das Internet noch nicht da, so bestand die Kollaboration noch aus einzelnen Videoaufnahmen der Ensembles, die zusammengefasst auf einer Webseite präsentiert wurden.

Programm zum MUSIANDRA-Beitrag bei der Fete de la Musique 2021.

Ein halbes Jahr später wurde, anknüpfend an die Jamulus-Musiziererfahrungen der Band, der weiter oben schon dargestellte hybride Online-Auftritt beim den International Days 2022 in Salzburg realisiert, bei dem drei Musiker*innen auf der Bühne des Konzertsaals und drei weitere Bandmitglieder vom Proberaum in Berlin aus performten. Diese Konstellation hatte sich ergeben, da sich beruflich nicht alle Bandmitglieder Zeit nehmen konnten, nach Salzburg zu fahren.

5. Weiterentwicklungen der Online-Musiziermöglichkeiten

Aufbauend auf den Online-Erfahrungen im Zusammenhang mit dem gemeinsamen vierhändigen Klavierspiel und dem Ensemble-Spiel (die anhand von Befragungen und Gruppen-Interviews evaluiert wurden) wurde gemeinsam überlegt, wie die Prozesse der Probenorganisation und der Kommunikation optimiert werden könnten. Dabei entstanden neue Konzepte, die auch jeweils auf die sich verändernde Situation im Umfeld des Projekts integrierten: Die Pandemie-bedingten Kontaktbeschränkungen waren zu großen Teilen wieder aufgehoben worden. Außerdem hatten sich personelle Veränderungen in Charenton-le-Pont Paris ergeben. Es wurde zweigleisig gefahren: Eine Erweiterung des Konzertprojekts mit Stücken zu vier Händen und die Initiation eines offenes Bandprojekt, das die Teilnahme für neue Zielgruppen ermöglichte.

Im September 2022 fanden online und offline Kick-off-Termine statt, zu denen neben allen Klavierpädagog*innen auch die Schüler*innen (aus Berlin, Charenton-le-Pont Paris und Isafjördur) eingeladen wurden. Die Zielperspektive fokussierte darauf, in einen noch engeren und erweiterten kulturellen Austausch miteinander zu kommen, was bedeuten sollte bei den Proben verstärkt die musikalische Interpretation in den Blick zu nehmen. Repertoire-Grundlage war daher eine Musikauswahl, die bei einem Austauschtreffen in Paris von den Schüler*innen bereits auf der Bühne aufgeführt wurde – aber noch musikalisch weiterentwickelbar war. Doch entwickelte das Vorhaben im Oktober und November keine Dynamik, da sich kein Modus für die Organisation der Online-Proben fand und keine*r der Klavierpädagog*innen das Heft in die Hand nahm.

Regelmäßige Online-Proben sind „die Kröte, die geschluckt werden muss, will man beim Projekt dabei sein und mit nach Paris fahren“ – dieser Kommentar einer Berliner Klavierlehrkraft zu einem Schüler beim Kick-off-Termin deutet bereits darauf hin, dass der Fokus nicht bei allen beteiligten auf die musikalische Online-Erfahrung lag.

Das Vorhaben wurde schließlich Ende November abgebrochen, da der Termin für das Online-Konzert, das für den 11. Dezember 2022 geplant war, immer näher rückte und das Teilziel, musikalisch intensiv an der gemeinsamen Interpretation zu arbeiten, sich nicht mehr realisieren ließ. Auch ein dritter Anlauf, der darauf abzielte über einen längeren Zeitraum mehrere Lehrkräfte und Schüler*innen zu involvieren, indem sich am Modell von Meisterkursen orientiert wurde, wurde letztlich nicht realisiert.

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Am 16. November 2022 fand das Kick-off-Meeting für einen neuen Ansatz eines partizipativen Bandprojekt statt, dass von den Bandcoaches Jan Hoppenstedt und Lucas Firmbach durchgeführt wurde. Es richtete sich an Interessierte, die Freude am Musizieren in einer Band mit klassischem Instrumentarium (Schlagzeug, E-Gitarre, Bass und Keyboard) haben. Das Konzept dafür orientierte sich an der Bandklassen-Methode der Leo-Kestenberg-Musikschule am Eckener Gymnasium, mit der lokal seit einigen Jahren gute Erfahrungen gemacht wurden.

Ankündigungsflyer für die Band-Workshops

Es wurden internationale Online-Band-Workshops für Erwachsene in Form eines „Schnupperkurses“ angeboten, wofür zunächst insgesamt 15 Termine geplant waren. Es kam eine Gruppe von ca. zehn Teilnehmenden zustande, die aus Izmir, Berlin und Isafjördur teilnahmen. Sie erhielten sowohl Einzelunterricht (per Jitsi) und musizierten dann in Bandproben gemeinsam. Dafür entwickelten die Teilnehmenden individuelle Strategien, Jamulus zu nutzen, um bei den Proben mitmachen zu können. (Interessant ist dazu auch dieser Erfahrungsbericht einer Band: LINK – Jamulus in der Bandarbeit.)

Probensituation bei einer der Online-Bandproben im März 2023

Für die technischen Herausforderungen wurde die Lösung gefunden, dass jeweils im Vorfeld der Bandproben technische Proben verabredet wurden, in denen individuelle Strategien für das jeweils vorhandene Equipment erarbeitet wurden. Eine besondere Herausforderung bestand dabei darin, dass viele der Teilnehmenden kaum Englisch sprachen – so wurde von Ugur Celik, der an der Berufsschule in Izmir als Lehrer für Neue Medien arbeitet und bereits viel Erfahrung mit internationalen Projekten hat, moderierend und übersetzend unterstützt. Auf der Basis von Einzelunterricht und technischen Proben zur Teilnahme via Jamulus, fanden die Teilnehmenden in den Ensemble-Proben schnell zusammen. Die Organisation der gemeinsamen Bandtermine wurde dadurch realisiert, dass die Termine mehrfach per Mail angekündigt wurden, indem der die Noten für die vereinbarten Stücke, der Name des Jamulus-Servers und zusätzlich auch ein Link zu einem Konferenztool (Jitsi oder Zoom, sollte etwas mit Jamulus nicht funktionieren) kommuniziert wurde.

Ich habe im Projekt gelernt, eine neue Perspektive auf den musikalischen Prozess bei den Online-Proben einzunehmen. Besonders am Anfang der Probenphase habe ich erstmal nicht bewusst den Sound und das perfekte Timing als zentralen Maßstab genommen, sondern das Zusammenspiel, das Erleben des Gemeinsamen ins Zentrum gerückt. So war ich nicht mehr so frustriert, dass es anders lief als im Bandproberaum.“ (Jan Hoppenstedt, Bandcoach) Hier zeigt sich ein Perspektivwechsel vom problemzentrierten hin zu einem ressourcenorientierten Verständnis von der Arbeit mit Lerngruppen.

Es war beachtlich, wie nach ein paar Wochen eine feste Gruppe entstand, die bei den Online-Treffen schnell ins Musizieren kam. In zwei intensiveren Phasen (Januar bis März und Mai bis Juni 2023) entwickelte sich eine heterogene Formation aus Laienmusiker*innen aus Izmir, Berlin und Isafjördur. Die Teilnehmenden spielten und sangen über ganz unterschiedliche technische Setups: Einige fanden Lösungen über ihr Smartphone sich bei Jamulus einzuklinken andere nutzten ihre Laptops. Im Ergebnis entstand ein gemeinsames Repertoire von drei Popmusik-Stücken, die schließlich sowohl bei einem Live-Auftritt im April 2023 in Izmir sowie im Rahmen der Abschlussveranstaltung des Projekts in Berlin auf der Bühne präsentiert wurden.

6. Finale (Abschlussveranstaltung)

Die Abschlussveranstaltung des MUSIANDRA-Projekts fand am 30. Juni 2023 im Roten Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin statt. Die über 100 Plätze waren restlos ausgebucht – selbst der hintere Bereich der Location für spontane Gäste. Auch diese Veranstaltung wurde dazu genutzt, um Learnings aus dem gemeinsamen Projekt zu präsentieren. Als Format wurde eine Panel-Diskussion gewählt, bei der zentrale Beteiligte aus ihren unterschiedlichen Projekt-Rollen bestimmte Erfahrungen schilderten.

Podiumsdiskussion bei der Abschlussveranstaltung von MUSIANDRA

[Video: Mitschnitt der Podiumsdiskussion]

Außerdem wurde ein Projekt-Film von Beate K. gezeigt, der einen Einblick zu verschiedenen Stationen im Projekt gab. Darin waren auch viele Szenen von den verschiedenen transnationalen Austauschtreffen enthalten, die einen guten Überblick zu den vielen Beteiligten sowie zu den kulturellen Gegebenheiten an den verschiedenen Standorten vermittelten. Als interaktives Angebot wurde für die Veranstaltungsgäste zusätzlich eine Ecke mit Tablets eingerichtet. Darauf waren die entstandenen elf Podcast-Folgen sowie die Konzert-Mitschnitte und Workshopmaterialien verfügbar.

Ergebnispräsentationen bei der Abschlussveranstaltung

Musikalische Höhepunkte im Programm war einerseits die Präsentation des transnationalen Bandprojekts mit Bandanfänger*innen, die schon online geprobt hatten und nun nach Berlin eingeladen wurden. Sie spielten zunächst drei Popsongs zusammen mit ihren Bandcoaches. Danach spielten sie noch zwei türkische Lieder in Bandzusammensetzung – eine kleine Überraschung im Programm.

Auftritt der Online-Band

Abschließend spielte die Musikschulband Wildberries ein kleines Programm. Darin spielten als Gäste auch verschiedene Projektakteure aus Spanien und der Türkei in einzelnen Songs mit.

7. Learnings und Zusammenschau der Ergebnisse

Abschließend werden hier Beobachtungen zu Bedingungen und entwickelten Ansätzen des transnationalen Kooperationsprojekts MUSIANDRA zusammengefasst. Dabei handelt es sich um einen kleinen Ausschnitt der Ergebnisse des internationalen Kulturprojekts, der organisatorische Herausforderungen in den Blick nimmt. Zentral ist hierbei die Frage, ob und wie es gelang, die organisatorischen Probleme so weit in den Griff zu bekommen, dass sich der Fokus auf die kollaborative Projektarbeit, insbesondere das gemeinsame Musizieren, gelegt werden konnte.

  • Wie wurde die Online-Kommunikation und Zusammenarbeit im Projekt realisiert?

Im Projekt wurde insgesamt ein offener Ansatz gewählt: Beispielsweise wurden zu Projektbeginn alle Mitglieder der Kerngruppe darin involviert, nach interessanten Kommunikationstools und Online-Plattformen zu recherchieren und in einem geteilten Padlet zu verlinken. Die Ergebnisse wurden dann bei einem Treffen kurz vorgestellt und einige Online-Plattformen wie z. B. Slack und Google-Drive intensiver gemeinsam ausprobiert. Nach kurzer Zeit hat sich einfach herausgestellt, welche Plattformen für die Gruppe nützlich waren und welche Funktion diese erhielt. Zentral waren:

  • WhatsApp-Gruppe für kurzfristige Mitteilungen sowie Fotos/Videos
  • E-Mails für die Protokolle und für längere Diskussionsbeiträge
  • Jamulus für Online-Musizieren
  • Google-Drive für gemeinsame Dokumente, Tabellen und Befragungen
  • DropBox und WeTransfer zum Austausch von Fotos und Videos
  • Webseite und Social-Media um öffentlich Workshopfolien, Fotos und Videos teilbar zu machen und zu archivieren

Hat etwas nicht funktioniert, fehlte z. B. ein Zugangscode, wurde sich über WhatsApp bei den anderen gemeldet. Verschiedene Akteure haben von Zeit zu Zeit neue Plattformen vorgeschlagen (z. B. „Digital Stage“), wenn sie mit den Kommunikations- und Kollaborationsmöglichkeiten der vorher genutzten Plattform unzufrieden waren oder neugierig waren mit anderen neuen Foren auszuprobieren. Regeln, welche Inhalte oder wer wann posten darf, wurden nicht explizit festgehalten, sie entstanden praxisbezogen in der Nutzung – von denen, die sich daran beteiligten. Es gab daher viele unterschiedliche Kommunikationsformen parallel – jedoch entstand kein überbordendes Chaos. Für den kontinuierlichen kommunikativen Prozess des Projekts sorgten wöchentliche Jour-Fixe-Termine via Zoom (bzw. Jitsi).

Zusammenfassend wurden Möglichkeiten sich kommunikativ auszutauschen sehr intensiv genutzt, wobei das Internet als Distributionskanal – der eine Übertragung möglich macht – genutzt wurde. (International waren also vergleichbar hohe Kompetenzen mit Online-Plattformen in der kommunikativen Nutzung vorhanden.) Möglichkeiten das Netz als Kollaborationsplattform zu nutzen, also als einen geteilten Ort der Zusammenarbeit, wurden dagegen insgesamt selten genutzt. Gute Erfahrungen in dieser Hinsicht wurden beispielsweise damit gemacht, dass bei einigen Sitzungen online mittels Google Drive gemeinsam ein Konzept oder ein Tagesplan geschrieben wurde. Die Plattform ermöglicht es, zeitlich parallel sowie auch zeitversetzt an einem Text zu schreiben. Es haben sich eine Gruppe von Beteiligten eingebracht (auch parallel zu Zoom-Treffen); am Ende hat eine Person das gemeinsame Dokument finalisiert und das Ergebnis wurde dann allen zur Verfügung gestellt.

Von zentraler Bedeutung für die partizipative Projektdurchführung waren selbstverständlich neben der digital vermittelten Kommunikation die vielen transnationalen Austauschtreffen: In Paris, Isafjördur, Izmir, Berlin wurden die Akteure und die unterschiedlichen Kulturen plastisch erlebbar.

  • Wie wurde die Organisation und Durchführung der Proben bewerkstelligt?

Gemeinsame Proben, die in verschiedenen Aufführungen gipfelten, hatten einen zentralen Stellenwert im transnationalen Projekt. Die Organisation der daran Beteiligten, stellte eine große Herausforderung dar – woran manche Vorhaben letztlich auch scheiterten. Zur Veranschaulichung der Bedingungen und entwickelten Lösungsstrategien, wird im Folgenden die Probenplanung skizziert:

Einige Projektmitglieder hatten im Vorfeld schon viel Praxiserfahrung, wie bei transnationalen Austauschtreffen (unter den Anwesenden) die räumlichen und zeitlichen Ressourcen organisiert werden können. Der Planungsprozess bei den Austauschreffen z. B. an der Musikschule in Berlin lässt sich hierbei als hierarchisch organisiert beschreiben: er wurde von einer Planungsgruppe (1-2 Verantwortliche) realisiert (meist Einheimische, da sie Informationsvorsprung in Bezug auf die gegebenen Räumlichkeiten haben). Sie erhielten ihre Informationen von der Musikschule zu den Räumen und Zeiten (via Mail oder vor Ort) und holten Informationen von den verschiedenen Lehrkräften zu einzelnen Verfügbarkeiten der Schüler*innen ein (via WhatsApp). Bei drei beteiligten Musikschulen (Berlin, Charenton, Isafjördur) mit insgesamt 15 Schüler*innen und 8 Lehrkräften war diese Aufgabe bereits komplex und erforderte viel Kommunikation (wobei ein gemeinsames Mittagessen als Ort die Informationen zusammenzubringen, den Planungsprozess manchmal vereinfachen konnte).

Ansatz für die Organisation und Realisierung der Online-Proben bei MUSIANDRA war es, dass an den Musikschulen der verschiedenen Standorte jeweils ein Raum präpariert wurde und dann mit den anderen Musikschulen ein gemeinsamer Termin ausgehandelt wurde. Die Absprachen benötigten ein bis zwei Wochen, wobei an jeder einzelnen Musikschule der Raum organisiert und die Informationen zu den Verfügbarkeiten der verschiedenen Lehrkräfte miteinander vereinbart werden mussten. An diesem Termin (meistens am Samstag) versammelten sich dann die Schüler*innen in der jeweiligen Musikschule und das gemeinsame Probenprogramm wurde unter den Anwesenden Schüler*innen und Lehrkräften über Jamulus durchgespielt. Der organisatorische Aufwand für die Online-Proben war dabei relativ ähnlich (hoch) wie bei den Austauschtreffen. Insgesamt waren die Online-Proben aber ein organisatorischer Erfolg: Die Planung funktionierte zuverlässig. In der Evaluation waren sich die Beteiligten einig, dass verschiedene Möglichkeiten, die das Internet für kollaborative Online-Zusammenkünfte bot, jedoch nicht genutzt wurden.

Das Internet wurde im Sinne eines Distributionskanals (zur Informationsübertragung) genutzt: Die verschiedenen Klavierlehrer*innen und Schüler*innen wurden über das Internet abgefragt und das Ergebnis wurde schließlich digital an die Gruppe übermittelt. Das Internet wurde nicht als miteinander geteilter Ort zur Zusammenarbeit verwendet. Auch bei den Online-Proben wurde das Internet (organisatorisch) als Distributionskanal verwendet – nicht als Kollaborationsmedium.

  • Wie hätte das Internet als Kollaborationsort die Organisation unterstützen können? (Vielleicht hätten die Schüler*innen und Lehrkräfte räumlich unabhängig von verschiedenen Orten (Zuhause) an den Proben teilnehmen und die Probenzeiten auch flexibel von den Klavier-Duos gewählt werden können.)

Es hat verschiedene Gespräche gegeben und wurden auch Konzepte entwickelt, wie diese kollaborativen Möglichkeiten genutzt werden können. Es hat sich jedoch keine Initiative durchgesetzt, das hergebrachte Vorgehen bzw. die bestehende Praxis auch mal anders zu versuchen.

Eine andere Entwicklung nahm die Organisation der Online-Bandworkshops, die zeitlich zu einem späteren Zeitpunkt in Angriff genommen wurden. Es wurde hierbei eine Einladung an Interessierte in Form eines Flyers über Mail und WhatsApp an die beteiligten Musikschulen weitergeleitet, in denen der Inhalt sowie die Termine beschrieben waren. Nach etwa drei Wochen hatte sich eine Gruppe von Interessierten gefunden. Die Schüler*innen erhielten direkt von Berlin aus von einer Gruppe an Lehrkräften über das Internet Unterricht. Hier waren also keine Lehrkräfte als Mittler*innen involviert und wurde kein Musikschulraum benötigt. Offensichtlich war die organisatorische Komplexität im Vergleich zum transnationalen Klavierprojekt geringer: Nicht die Zugehörigkeit zur Musikschule, sondern das Interesse an der Teilnahme an einem Online-Bandworkshop war zentrale Voraussetzung. Die Termine waren auf Mittwoch um 18 Uhr festgelegt. Im Vorfeld wurden mehrmals E-Mails versandt, in denen die technischen Bedingungen (mit Hilfestellungen) sowie die Zugangsdaten halten waren. Die Teilnehmenden klinkten sich daraufhin – abhängig von ihren persönlichen (zeitlichen, technischen) Möglichkeiten – zu den entsprechenden Terminen ein (oder auch nicht).

Auch in diesem Fall wurde das Internet als Distributionskanal genutzt. Es wurden organisatorische Informationen über das Internet geteilt und zu bestimmten Zeitpunkten das Internet als Verbindung zwischen verschiedenen Orten genutzt. Die starke Zentrierung auf die Lehrkräfte blieb auch hier bestehen. Auf den ersten Blick wurde die Möglichkeit den Austausch zwischen den Teilnehmenden herzustellen, nicht genutzt bzw. aktiv unterstützt. (Vielleicht aus der Erfahrung, dass die Teilnehmenden Erwachsenen sich keine zusätzliche Zeit zum Experimentieren nehmen können/wollen.) Doch ließ sich auf Jamulus beobachten, wie Teilnehmende sich auch wohl selbstständig die Möglichkeit der Technik anzueignen schienen und selbstständig auf der Plattform Jamulus aktiv waren.

Es wurde regelmäßig einige Zeit von den Bandcoaches dazu eingeplant, um die Technik an den individuellen Standorten zum Laufen zu bekommen. Hierbei entwickelten sich sehr viele unterschiedliche Lösungsansätze bei den Teilnehmenden. Dadurch konnten Teilnehmende mit extrem unterschiedlichen Bedingungen mitmachen, die verband, dass sie Teil der Band sein wollten.

  • Welche Sprachbarrieren haben sich gezeigt und wie haben sie sich ausgewirkt?

Bei den Franzosen beteiligte sich in den wöchentlichen Meetings zunächst nur Vanessa Sanfilippo am Austausch. Später involvierten sich auch andere Kolleg*innen wie Audrey und Sigfried, die sich jedoch stark zurückhielten und wenn sie direkt angesprochen wurden in Französisch antworteten. Beim französischen Projektpartner gab es recht viele Missverständnisse in Bezug auf die Projektziele und auch die Regularien (z. B. wie die finanziellen Mittel ausgegeben werden dürfen). Zwar wurde häufig darauf verwiesen, dass im Antrag/Vertrag die strittigen Punkte drinstehen würden, jedoch entwickelten sich parallele Strukturen (z. B. wurden die finanziellen Mittel auch für Honorare der beteiligten Lehrkräfte oder für Mieten ausgegeben). Um die Organisation zu ermöglichen, und da viele Franzosen Schwierigkeiten hatten, sich in Englisch auszudrücken, wurde daher teilweise auch Französisch gesprochen werden. Dies schloss wiederum andere Teilnehmende aus. Später etablierte sich, dass länge Erklärungen oder Organisatorisches von den Franzosen schriftlich via www.deepl.com von ihnen ins Englische übersetzt und per Mail kommuniziert wurden.

Zentrale Treiber der Kommunikation waren Dorlies Radike-Thiel, Alexander M., Jan Hoppenstedt aus Berlin, die einerseits inhaltliche Ideen sowie auch Projektideen für Konzerte und Workshops einbrachten. Ihr Englisch und Französisch war gut und sie hatten bereits viel Erfahrung in der Durchführung internationaler Projekte. Auch Ugur Celik aus Izmir brauchte sich viel ein, der einerseits, für die Projektdokumentation zuständig war (Webseite) andererseits, eine wichtige Rolle als Vermittler zu türkischen Projektbeteiligten (Musiker*innen), in dem er aktiv immer wieder neue Leute involvierte und Informationen übersetzte. Die türkischen (erwachsenen) Schüler*innen (Projektbeteiligten) sprachen kaum Englisch. Ugur Celik war daher sehr aktiv, um in der Organisation und in der Bewältigung von technischen Hürden zu unterstützen. Die Klavierpädagogin Margret G. aus Isafjördur hielt sich bei Reflexionen von Planungen etwas zurück, war jedoch kontinuierlich dabei und spätestens bei organisatorischen Fragen sofort aktiv.

Im Zentrum der Online-Meetings stand Organisatorisches. Konzeptionsgespräche stellten sich eher als wenig fruchtbar heraus – Konzepte entstanden eher in kleinen Untergruppen, die eine gemeinsame Vision hatten. Was in einem Protokoll geschrieben stand, oder in anderer Form festgehalten vorlag, erhielt Feedback. Pädagogische und künstlerische Fragen wurde in den Austauschtreffen kaum behandelt – das schien eher als „selbstverständlich“.

Mit der Zeit wurde der sprachliche Austausch zwischen den Beteiligten spürbar sicherer und flüssiger. Dazu haben einerseits der sehr regelmäßige Projektaustausch (Joure Fixe, transnationale Treffen) sowie besonders die Kommunikation in der Realisierung von bestimmten Vorhaben beigetragen (z. B. Theater-Workshops, Konzerte, Workshops). Über die Kerngruppe an Vertreter*innen der Projektpartner*innen hinaus wurden zudem viele Akteure (phasenweise intensiv) an den unterschiedlichen Standorten  zumindest in einzelnen Teilprojekten in das Projekt kommunikativ involviert: Berlin (7+8 – also 7 Personen Kerngruppe+8 Kolleg*innen), Paris (4+5), Izmir (2+4), Isafjördur (1+3), Salzburg (1+2); neben vielen Schüler*innen gehören dazu auch ein breites Konzertpublikum sowie die Musikschulkollegien und -leitungen und Vertreter*innen aus der Politik.

  • Welche technischen Ansätze zum gemeinsamen Musizieren über das Internet sind bei der Projektarbeit von Musikschulen tatsächlich realisierbar und inwiefern nützlich?

Zu Projektbeginn hat Matthias Krebs einen Vortrag zum Thema Gemeinsam Musizieren über das Internet gehalten. Darin wurden verschiedene Ansätze mit Vor- und Nachteilen vorgestellt und diskutiert. Jamulus wurde besonders intensiv in der Zeit der Corona-Pandemie genutzt. Auch nach den Lockerungen der Kontaktbeschränkungen wird Jamulus von Musiker*innen, die Lösungen suchen, um gemeinsam über Distanz zu proben noch recht viel verwendet (z. B. Mitglieder von professionellen Bands).

Ziemlich schnell wurde sich bei MUSIANDRA auf Jamulus festgelegt, auch da schon in anderen Kollaborationsprojekten erste gute Erfahrungen gemacht wurden. Alternative Ansätze wie die Plattform Digital Stage wurde an Jamulus gemessen, hatten sich aber in Tests nicht als für das Projekt nutzbar gezeigt.

Jamulus ist auf verschiedensten Betriebssystemen (wie Windows, Mac OS, Android, iOS, Linux), nutzbar und braucht vergleichsweise geringe Ressourcen. Dabei fällt sofort bei einer gelungenen Verbindung auf, dass der Klang über Jamulus ganz anders ist, als bei Zoom oder anderen Konferenz-Systemen: Es gibt keine Wechselschaltung mehr und man fühlt sich akustisch, als würde man im selben Raum sein. Selbst über 1000 km Entfernung (z. B. zwischen Island und Salzburg) ist die Verzögerung so gering, dass man gut gemeinsam im Ensemble musizieren kann. Dadurch entsteht ein echter Präsenzeffekt. Etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass die Verbindung immer etwas digital knackt – was irgendwie an alte Radioverbindungen erinnert, aber das Knacken geht in der musikalischen Interaktion schnell unter und wird von vielen nach kurzer Zeit überhört.

Da sich das Projekt auf das Musizieren konzentrieren wollte, wurde nach Lösungen Ausschau gehalten, technische (und damit vor allem organisatorische) Komplikationen zu minimieren. So wurde mit dem MUSIANDRA-Kit versucht, einen Standard zu schaffen.

Wie hat sich das MUSIANDRA-Kit in der Praxis bewehrt? Konnte das Kit dazu beitragen, dass die Proben organisatorisch reibungsloser liefen? Stellt es eine Perspektive für den modernen Musikschulunterricht dar?

  • Die Berliner haben sich vergleichsweise intensiv mit der Online-Technik beschäftigt. Das MUSIANDRA-Kit haben ca. 6 (Klavier-)Lehrkräfte selbst ausprobiert und auch 6 Schüler*innen (von insgesamt ca. 8) haben sich bei Jamulus eingeklinkt.
  • Margret Gunnarsdottir (Island) hat beständig versucht, sich fortzubilden und mit Jamulus sicherer zu werden. Sie hat an ca. 7 Proben teilgenommen (insg. ca. 11 Treffen).
  • Vanessa S. (Charenton-le-Pont Paris) hat sich organisatorisch drum gekümmert, dass es an der Musikschule die Möglichkeit gibt (ein Raum mit LAN-Anschluss und Netzwerkfreigabe) und so online geprobt werden kann. Realisiert wurden die Verbindungen stets durch ihren Kollegen Siegfried C. Sie oder andere Pädagog*innen der Musikschule haben sich nie selbstständig bei Jamulus eingeklinkt.

Die MUSIANDRA-Kits haben sich im Einsatz an den Musikschulen als nützlich erwiesen (Paris, Island, Berlin). Es scheint als bieten sich MUSIANDRA-Kits eher für einen solchen Kontext an. Damit könnten Lehrkräfte bei Bedarf, ohne größere Vorbereitungen und unregelmäßig die Technik nutzen. Damit wird der organisatorische Aufwand verringert. Erfahrung war, dass Lehrkräfte ein bis zwei Workshops benötigen, um das MUSIANDRA-Kit sicher zum Laufen zu kriegen. (In einem anderen Musikschulprojekt (MSdigital.SH-Hymne, LINK zum Blogbeitrag) gelang die sichere Jamulus-Verbindung zwischen den beteiligten Musikschullehrkräften auch nach drei Proben sicher von zu Hause.)

Andererseits scheint die Einführung der MUSIANDRA-Kits aber auch möglicherweise Entwicklungen verhindert zu haben. So wurden weder von den Lehrkräften (Paris, Island) noch von den Schüler*innen Ansätze verfolgt, auch ohne MUSIANDRA-Kit über das Internet (von zu Hause) zu proben. Andererseits kursierten jedoch verschiedene Anleitungen, auf unterschiedliche Weise Jamulus mit persönlichen Laptops oder Smartphones zu nutzen.

Konträr dazu entwickelte sich die Jamulus-Nutzung in Berlin. Hier wurden gleich mehrere MUSIANDRA-Kits angeschafft, die an die fünf Klavierpädagog*innen verteilt wurden, die sie teilweise auch an ihre Schüler*innen verliehen. Die Berliner Klavierpädagog*innen waren anfangs sehr an Jamulus interessiert und nahmen engagiert auch bei online-Proben teil. In einer anderen Phase waren sogar 4 von 5 Schüler*innen mit eigener Technik (ohne MUSIANDRA-Kit) bei Jamulus dabei. So brauchen Schüler*innen die MUSIANDRA-Kits vielleicht weniger, da diese ein höheres Interesse haben, sich nach Bedarf einzufuchsen. Möglichweise hat das MUSIANDRA-Kit etwas die Hürde nehmen können, so dass die Lehrkräfte positiv über ihre persönlichen Erfahrungen berichten konnten und so die Schüler*innen eine positive Einstellung vermittelt bekamen.

Für eher informeller Angebote wie den Online-Band-Workshop erscheint die Nutzung von Jamulus (ohne das Kit) gut geeignet, um Online-Proben zu realisieren. Die Berliner Workshopleitenden Jan Hoppenstedt und Lucas Firmbach lassen sich als technikaffin einschätzen und entwickelten individuelle Lösungen, Jamulus zu nutzen. Auch die Teilnehmenden aus Izmir fanden individuelle Lösungen, um dabei sein zu können. Als Hilfestellungen gab es eine Liste an YouTube-Videos. Es fanden einige Sitzungen statt, in denen via Jitsi/Zoom von Bandcoaches versucht wurde, sowohl die jeweiligen Parts auf den Instrumenten als auch den technisch (Jamulus-)Background zu vermitteln. Die Sprachbarriere war dabei ziemlich groß. So musste Ugur Celik teilweise übersetzend unterstützen, damit die Verbindung zustande kam.

In resümierender Betrachtung: Interessanter Weise war der Einsatz der MUSIANDRA-Kits insgesamt relativ gering. Die Technik war nur ein Teil des organisatorischen Aufwands, der zur Realisierung von Proben betrieben werden musste und dieser war so hoch, dass keine längerfristige Projektphase entstanden ist, in der musikalisch intensiv mit Jamulus geprobt wurde. Dagegen hat sich in informelleren Bereichen mehrere intensivere Online-Proben-Phasen ergeben. Es gehörte also noch mehr dazu als die technische Möglichkeit über weiter Distanz miteinander musikalisch verbunden zu sein: z. B. das Interesse unabhängig von räumlichen Ressourcen zu sein und sich von Zuhause einklinken zu können; oder neugierig zu sein und ein echtes Interesse daran zu haben, überhaupt teilnehmen zu dürfen/können. Darüber hinaus kristallisierte sich kein bestimmter Mehrwert heraus, wenn die neue technische Möglichkeit mit einem hergebrachten Organisationsprinzip verbunden wird.

  • Hat sich durch MUSIANDRA etwas verändert?

Das Projekt MUSIANDRA zielte nicht explizit darauf, an den teilnehmenden Institutionen einen bestimmten Veränderungsprozess anzuregen. Vielmehr ging es darum, einen Raum zu schaffen, in dem eine Gruppe von Akteur*innen im transnationalen Austausch in Bezug auf gemeinsam entwickelte Projekte experimentieren können. Trotzdem ist es interessant, wie unterschiedlich sich einige Akteure zur Frage, äußerten, was das Projekt MUSIANDRA für ihre und die Zukunft ihrer Musikschule bedeutet.

— Musikschule: Frankreich

Der Musikschulleiter von Charenton-le-Pont Paris bewertete in einer Mail die Online-Experimente als nicht nützlich und wünschen sich in Zukunft wieder mehr „reale“ Treffen. In der Auswertung hob er hervor, dass die Reisen nach Berlin gut waren und die Verbindung zur dortigen Musikschule gestärkt wurde. Jedoch der Online-Part viel Mühe bereitet hatte. So scheinen die Pariser das MUSIANDRA-Projekt weniger als eine Chance zur organisationalen Weiterentwicklung genutzt/verstanden zu haben (eher nach dem Muster: eine Bildungsmöglichkeit für unsere Schüler*innen). Anstatt neu entwickelte Strategien weiterzuentwickeln, wird darum gebeten, wieder zum Hergebrachten zurückzukehren.

Obwohl sie zu den Projektpartner*innen mit vielen Beteiligten gehörten, beteiligten sich an der Musikschule in Charenton-le-Pont Paris nur wenige Akteur*innen aktiv an der Projektentwicklung und sammelten beispielweise kaum – und wenn dann auch nur flüchtige – Erfahrungen im Online-Musizieren. Vanessa S., die in der Online-Klavier-Phase aktiv war, hatte zur Hälfte des Projekts zu einer anderen Musikschule gewechselt. Ihre Nachfolger*innen hatten weniger Bezug zum Klavier und Bandcoaching. So blieben bis zuletzt die organisatorischen Herausforderungen im Vordergrund und wenig künstlerische oder pädagogische Fragen. So sieht die Musikschulleitung für ihre Zukunft keinen Grund (mehr) für Online-Projekte.

— Musikschule: Island

Die isländische Klavierlehrerin und Musikschulleiterin Margret G. äußerte sich insgesamt sehr zufrieden mit den Prozessen und Ergebnissen von MUSIANDRA. Das Projekt sei eine spannende Möglichkeit gewesen, bei dem sie über ihren Schatten gesprungen sei und den Umgang mit der Technik gelernt hätte. Außerdem hätten ihre Schüler*innen viele internationale Erfahrungen sammeln und alternative Methoden kennenlernen konnten. Für sie sei wichtig gewesen, im Projekt neue Wege zu finden, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten – das wurde auch erreicht.

Die organisatorischen Herausforderungen waren dadurch, dass der Ort Isafjördur klein war und die Teilnehmendengruppe übersichtlich war und sich einige Eltern stark in das Projekt eingebracht hatten (als Technikhilfe und als Begleitende), wohl relativ einfach machbar. So äußerte sich Margret G. als offen für weitere Projekte, in denen im internationalen Verbund, im engen Austausch und mit digitalen Technologien gearbeitet wird.

— Bandworkshops

Die beiden Bandcoaches der Berliner Musikschule Jan Hoppenstedt und Lucas Firmbach äußerten sich in Interviews stolz über die Projektergebnisse und werteten die Erfahrungen als Bereicherung für ihre künstlerische wie pädagogische Arbeit. Beide hatten bereits vor MUSIANDRA recht viel Erfahrung mit Studiotechnik, doch war für sie die Erfahrungen mit dem Online-Musizieren neu gewesen. Auch in Zukunft wollten sie versuchen, die neu entwickelten Methoden in ihre Arbeit einfließen zu lassen und an internationalen Projekten teilnehmen.

Im Interview berichteten sie, dass sie das Organisatorische von dem Musizieren als entkoppelt ansahen: Zunächst befassten sie sich mit der Frage, woher sie die finanziellen Ressourcen für die Realisierung der Workshop erhalten können und welche Infos zur Bewerbung notwendig sind. Dann planten sie, um sicherstellen zu können, dass die Teilnehmenden die technische Ausrüstung und Kompetenzen besitzen, Treffen ein, in denen die Teilnehmenden erstmal die notwendige Technik nutzen lernten. Darunter summierten sie sowohl zum einen die Nutzung von Jamulus als auch dass die Teilnehmenden wussten, wie sie ihr Instrument für das Ensemblespiel zum Klingen bringen. Die Online-Ensemble-Treffen wurden darauf aufbauend als eine dritte Ebene verstanden. Hierbei konzentrierten sie sich darauf, wie sie die Teilnehmenden unterstützen können, ihre jeweilige Rolle in der Band bestmöglich zu füllen (und weniger darauf, bestimmte Noten zu reproduzieren). Dabei legten sie ihr Augenmerk vor allem darauf, ein Gefühl des musikalischen Gemeinsamen zu vermitteln.

8. Diskussion

In diesem Beitrag wurde versucht darzustellen, wie unterschiedliche Organisationsstrukturen, verschiedene Kommunikationsmöglichkeiten und die explorative Auseinandersetzung mit digitalen Technologien das Projekt MUSIANDRA mitbestimmt und dazu beigetragen haben, dass eine große Gruppe an Beteiligten neue Herangehensweisen an künstlerisch-pädagogische Situationen erprobte, um sie dann womöglich neu zu verstehen.

Dir gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Projekt MUSIANDRA ermöglichen über die Formulierung von Empfehlungen hinaus zahlreiche Anschlüsse an bereits vorhandene Forschungsarbeiten und theoretische Modelle. Hierzu seien abschließend knapp einige Punkte im Zuge einer zusammenfassenden Diskussion skizziert.

Zum Konzept der „Community of Practice“ (nach Wenger, 2008) lassen sich in vielerlei Hinsicht Anschlüsse finden. Es beschreibt allgemein eine praxisbezogene Gemeinschaft von Personen, die ähnlichen Aufgaben gegenüberstehen und voneinander lernen wollen. Hierin werden zwei Gesichtspunkte angedeutet, die Wengers Ansatz für viele attraktiv macht: „Communities of Practice“ sind auf Veränderung ausgerichtet, und innerhalb dieser Strukturen findet ein kontinuierlicher Lernprozess der Mitglieder statt (vgl. Lehrmann-Wermser 2021: 266; Krebs & Godau 2018). Dies wird u. a. in den Interviews und Ergebnispräsentationen der Beteiligten deutlich, die den Aspekt der Veränderung beschreiben und das Lernen im transnationalen Austausch reflektiert wird. Das Engagement der Gruppe bei der Evaluation, Dokumentation und Präsentation von Projekterfahrungen – als Form partizipativer Teilhabe – machen deutlich, dass der Anspruch der Beteiligten, Ergebnisse zu veröffentlichen, den Referenzrahmen über die Musikschule hinaus zu erweitern, den Lernvorgang im Projekt verändern kann.

Zur Formung der Wissen- bzw. Praxisgemeinschaften zeigten sich – wie auch bei Adrilla-Mantilla (2016) beschrieben – Situationen als prädestiniert für enge Kooperationen und Kollaborationen zwischen den Lehrkräften (und Lernenden), in denen auf herausragende „Events“ wie etwa ein besonderes Konzert oder einen transnationalen Podcast hingearbeitet wurde.

Gute Interaktion bedarf guter Kommunikation in Projekten (vgl. Losert 2021: 41). Hier konnten verschiedene Ansätze erprobt werden die sprachliche sowie auch technische Hürden minimieren. Dabei hat sich insgesamt eine hohe Kompetenz bei der Verwendung der Online-Plattformen gezeigt, die sich als soziales Medium erwiesen, das Leute zusammenbringen kann. Bei der netzbasierten Kollaboration bestehen noch Entwicklungsfelder.

Neben dem regelmäßigen Austausch im Kernteam sowie der pädagogischen Projektarbeit mit Zielgruppen fanden vielfältige Kooperation, Kollaboration und Netzwerkarbeit auch in strukturell übergeordneten Bereichen statt: in Form von Konzerten, Workshops sowie öffentlichen Treffen mit Politikern – wobei das Thema „(digitale) Musikpraxis über Ländergrenzen hinweg“ große Aufmerksamkeit erhielt.

Die Vorhaben, die rückblickend intensive Beachtung im Projektverlauf fanden, kennzeichnete, dass die Gruppe selbst daran interessiert war und sie selbstorganisiert arbeiten konnten – was durch eine flache hierarchische Struktur ermöglicht wurde. Strukturiert wurden die kollaborativen Prozesse regelmäßig in Form von moderierten Reflexionen, die über eine Bewertung (gelungen – nicht-gelungen) hinausgingen. Darüber hinaus war die Kollaboration von dem gemeinsamen Interesse getragen, auch über das Projekt hinaus Erkenntnisse aus der explorativen Projektarbeit an Interessierte vermitteln zu wollen.

Besondere Herausforderungen der Kollaboration ergaben sich im Zusammenhang mit organisatorischen Strukturen. Digitalisierungsprojekte (in der Weiterbildung) scheitern nicht selten, weil die Beteiligten die neuen Erwartungen und Standards des neuen (Praxis-)Felds nicht erkennen können. (Dies wurde auch in der Lehrkräfteausbildung z. B. bei Johnston 2016 gezeigt, in Lehrmann-Wermser 2021: 269.) Was Probleme bereitet, ist der Versuch ein tieferes Verständnis für die Logik der (digitalen) Gesellschaft (Gemeinschaft) zu entwickeln und sich selbst als deren Teil zu begreifen – was in diesem Beitrag nicht weiter vertieft werden kann. Die vielfältigen Aktivitäten im Projekt MUSIANDRA boten den Beteiligten die Möglichkeit, praktische Erfahrungen in einem neuen Bereich zu sammeln, sich künstlerische wie pädagogische Kompetenzen anzueignen und Ideen umzusetzen.

Konflikte in der kollaborativen Zusammenarbeit machten implizite Regeln bzw. blinde Flecken institutioneller Strukturen sichtbar und verhandelbar. Aus der Perspektive der Organisationsforschung können manche der beschriebenen Abläufe (z. B. die Organisation der Proben) als Reproduktionen von strukturierenden Strukturen (Musikschule = Institution) verstanden werden (vgl. z. B.  Lessing & Stöger 2018). Diese Verankerungen werden nach Bourdieu als „Habitus“ verstanden, die nicht nur das Handeln und Verhalten, sondern bereits die zugrundeliegende Wahrnehmungsweise der Akteure prägen.

Neue Erfahrungen entstehen über das Ausprobieren und weniger über das darüber nachdenken: Daher wurde vermieden abstrakte Theorien als Heuristiken ins Zentrum der Projektdurchführung zu stellen, da sie in einem Projekt eher überhöhte Erwartungen schüren können, die Beteiligten unter Druck setzen und das freie Experimentieren womöglich unterdrücken. Gefahr kann auch darin bestehen, dass das Projekt von den Durchführenden entfremdet wird, wenn die Theorien nicht aus dem Projekt, sondern von anderen Projekten oder aus der Literatur importiert werden.

Im Projekt MUSIANDRA gelang es der Projektleiterin Dorlies Radike-Thiel, dass immer neue Fragen aufkamen. Sie gab einen ungefähren Rahmen vor (der auch schon im Projektantrag skizziert war) und lud dazu ein, dass sich Projektbeteiligte einbringen: „Wie können wir das gemeinsam hinkriegen? Wie können wir es noch anders machen?“ Durch die transnationale Gruppe mit vielfältigen Erfahrungen und institutionellen Strukturen, aber auch genügend Projektmitteln zur flexiblen Realisierung eines reichen Austauschs, ließen sich (für die Beteiligten) spannende Erkenntnisse gewinnen.

Die Ergebnisse verweisen auch darauf, dass transnationale Projekte komplexer sind, als wir es uns manchmal vorstellen – dafür aber Grundlagen für Entwicklungsmöglichkeiten in aktuellen gesellschaftsrelevanten Themen wie Nachhaltigkeit, Digitalität, Demokratiebewusstsein oder Diversität schaffen können. Eine zu starke Fokussierung auf Strukturen und Abläufe bei der Betrachtung der Internationalisierung verdeckt aber manchmal umfassendere Perspektiven. „[D]ie persönliche Ebene und die Tatsache, dass hinter Internationalisierung zufällige Begegnungen oder freundschaftliche Beziehungen stehen“ (Kertz-Wetzel 2021: 259), werden in der institutionellen Betrachtung der Organisationsentwicklung manchmal vernachlässigt. Im Projekt MUSIANDRA wurde die zentrale Bedeutung auch scheinbar nebensächlicher Kommunikationsakte als zentrale Herausforderung und Gewinn verdeutlicht.

Welche Ergebnisse des Projekts werden im Nachhinein von den Mitgliedern der Kerngruppe genannt? (Brainstorming)

  • Wir haben uns über 2 Jahre hinweg intensiv mit Kolleg*innen aus anderen europäischen Ländern ausgetauscht.
  • Wir haben mit kostengünstiger Technik, die allgemein zur Verfügung steht, einen Bühnenauftritt realisieren können, bei dem die eine Hälfte der Band in Berlin spielt, die andere in Salzburg auf der Bühne steht.
  • Wir haben ein Konzert mit Stücken für 4 Hände online geprobt und gespielt, bei dem die Klavierschüler*innen von Isafjördur, Charenton und Berlin miteinander musiziert haben.
  • Wir haben von Berlin aus einen Online-Bandklasse-Workshop für erwachsene Band-Einsteiger*innen realisiert, bei dem Interessierte aus der Türkei, Rumänien, Berlin und Island teilgenommen haben und miteinander probten. Sie spielten zum Abschluss drei Stücke live auf der Bühne im Roten Salon der Berliner Volksbühne.
  • Wir haben 9 transnationale Austauschtreffen realisiert: (Berlin (3x), Paris (2x), Isafjödur (1x), Izmir (2x), Salzburg (1x))
  • Wir haben Erkenntnisse zur Durchführung von Musikschulprojekten mit digitalen Technologien erworben.
  • Wir haben Erkenntnisse zur Durchführung von Online-Band-Klassenworkshops mit Erwachsenen erworben.
  • Die Projektbeteiligten hatten viele schöne gemeinsame Erlebnisse.
  • Bei den Präsentationen und Konzerten bei den Austauschtreffen wurden viele Politiker*innen sowie auch Kolleg*innen vor Ort über das Thema des Projekts informiert bzw. eingebunden. #sensibilisierung
  • Es wurden eine Reihe von Materialien entwickelt, um Interessierte über Learnings im Projekt zu berichten. #podcasts #workshopmaterialien #berichte #vortragsfolien #blogbeiträge

9. Was meinen Sie?

In diesem Beitrag wurden einige Projekthighlights skizziert sowie zentralen Learnings der knapp zweijährigen Projektarbeit präsentiert. Das Thema „internationale, transnationale Austauschtreffen“ lässt sich sicher noch erweitern und ergänzen. Nutzen Sie gern die Möglichkeit über den Kommentarbereich Fragen zu stellen und auch eigene Erfahrungen zu skizzieren.


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