Theorie der Praxis – Mobiles Lernen und Unterricht nach Seipold

Marc Godau | 2. Oktober 2014

Wie plant man Projekte oder Unterrichtsszenarien, die Musikapps effizient einbinden und gleichzeitig den Lernprozess der Teilnehmenden unterstützen? Auch der zweite Beitrag in der Reihe Theorie der Praxis konzentriert sich auf ein Modell aus der Medienpädagogik; diesmal von der deutschen Medienwissenschaftlerin Judith Seipold. Gerade in der derzeitigen Ausarbeitung medienpädagogischer Theorien für die inhaltliche Aufbereitung unseres Curriculums des BMBF-geförderten Projektes TOUCH:MUSIC stellt dies eine wichtige Erkenntnis für unsere weitere Arbeit dar.

Geht das bereits vorgestellten Modell TPACK von einer Motivation aus, Technologien in Lehr-Lern-Settings adäquater einzubinden, so konzentriert sich Judith Seipold stärker auf das mobile Lernen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Menschen in unterschiedlichen Kontexten mobile Technologien innerhalb eigener Lernprozesse nutzen und diese dadurch optimieren. Mit einer solchen Orientierung rückt die Beschäftigung damit, wie Apps und Smarttechnologien als Tools benutzt werden können, zugunsten der Frage in den Hintergrund, wie mobiles Lernen gefördert werden kann. Verstärkt wird konsequenterweise das informelle, außerschulische Lernen untersucht, da es sich dort größtenteils abspielt. Somit liegt auch Judith Seipolds Fokus schließlich darauf, wie mobiles Lernen in formalen Kontexte unterstützt wird.

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Ein Schüler zeigt begeistert seine Musikapp-Entdeckung für sein privates Smartphone „Walk Band“ (android). Damit hat er einen Beat komponiert, den er gern in der nächsten Stunde einbringen will. | Foto: Matthias Krebs

 

3 Herangehensweisen in Lehr-Lern-Settings nach Seipold

Ihre Beobachtungen stellt sie in den folgenden drei Herangehensweisen vor:

  • Top-Down: Beschrieben wird mit dieser Methode die Bereitstellung mobiler Devices für bereits vorhandene Strukturen. In der Praxis hieße das beispielsweise die Ausstattung ganzer Klassen mit Tablets für pädagogische Settings. “Hier finden sich Lernende in eng vorgegebenen Strukturen und Handlungsspielräumen wieder, werden allerdings im Gegenzug dazu mit der nötigen Technologie und Infrastruktur ausgestattet und mit Ressourcen versorgt, die es ihnen in gleichberechtigten Lernprozesses[sic] ermöglichen, personalisiert oder kollaborativ zu lernen.” (Seipold 2013, S.42) Für Judith Seipold besteht der Vorteil vorallem in der Unterstützung schwacher Lerner_innen und der Erhöhung der Chancengleichheit aller insofern, dass allein der Akt des Bereitstellen von Technologien sowie deren Vorteile Lernen fördern könne. (vgl. ebd.)
  • Bottom-up: Im Gegensatz zur Top-Down-Methode bedeutet Bottom-Up die Nutzung vorhandener Technologien und das Know-How der Lerner_innen für formale Zielstellungen. Das damit verbundene Motto »Bring Your Own Device« hat einerseits den Vorteil der Kostenersparnis. Andererseits kann es dabei helfen, alltagsweltliche bzw. außerschulische Kompetenzen der Lernenden in schulischer Zielstellungen einzubeziehen und somit Schülerorientiert zu arbeiten. Neben den Herausforderungen, die derartige Settings mit sich ziehen (z.B. Wie stelle ich sicher, dass alle Lernenden ausgestattet mit Geräten arbeiten können?), gilt auch hier die erhöhte Schülerorientierung, insofern kollaboratives Lernen und Peer-Teaching gefördert werden können.
  • Affordance-Approach: Die dritte Herangehensweise kommt nach Seipold der alltäglichen Nutzung mobiler Endgeräte am nächsten, indem diese Technologien bedarfsorientiert eingesetzt werden. Alltäglich bedeutet hier, dass in außerschulischen Zusammenhängen mobile Digitalgeräte nicht vorab zum Problemlösen vorgegeben werden, sondern dass diese innerhalb der Bewältigung hinzugezogen werden. Dies erhebt zugleich den Anspruch, die Bedarfsorientierung für die Lernenden auch außerhalb der unterrichtlichen face-to-face-Kommunikation beispielsweise durch Einbezug von Cloud-Diensten wie DropBox aufrechtzuerhalten.
2014 Seipold three approaches to implement mobile learning

Judith Seipolds Einteilung der Implementierung mobiler Technologien in formale Kontexte |

Der Unterschied zu den beiden erstgenannten Methoden kann vorallem in der Situierung gesehen werden. Lernenden wird damit ein aktiver gestalterischer, interessen- und motivationsbasierter Handlungsspielraum eröffnet. Das hießt, das innerhalb eines didatiktischer Settings eine Infrastruktur angeboten wird, die es erlaubt, anhand relevanter Problemstellungen verschiedene Lehr-Lern-Formate zu kombinieren und zu variieren. Öffnung und Schließung des Unterrichts sowie lehrer- oder schülerzentriertes Arbeiten mit gestellten Materialien oder Ressourcen aus dem Alltag der Kinder und Jugendlichen hängt dann nicht von der Aufgabenstellung, als vielmehr von ihrer Bearbeitung ab. Und schließlich wird damit ein Versuch vorgestellt, erworbene Kompetenzen der Schüler_innen in außerschulischen Praxen (Vereinen, Bands etc.) nicht nur einzubeziehen, sondern auch durch pädagogische Angebote Gelerntes an diese zurückzubinden.

Judith Seipold spricht über die drei Implentierungsformen Top-Down, Bottom-Up und den Affordance-Approach. Die Unterschiede liegen in der Bereitstellung für bereits vorhandene Strukturen, als Mittel des Einbezugs lebensweltlicher Kompetenzen für unterrichtliche Ziele oder bedarfs-orientierte Nutzung mobiler Technologien. → FOLIENLINK

 

Was bringt diese Unterteilung uns Pädagog_innen?

Schärft das TPACK-Modell vor allem den Blick für eine technologieeffiziente Planung pädagogischer Angebote, so rückt Seipold deren Gestaltung bzw. Durchführung in den Vordergrund. Damit berührt sie die derzeit nicht nur in der Medien- und Musikpädagogik diskutierte Frage, wie Ressourcen des informellen Lernens in formalen Kontexten aufgegriffen, verbunden und erweitert werden können. Spätestens mit den Beobachtungen zum mobilen Lernen ist klar: Gelernt wird immer und überall. Und so zeigt sich in der Praxis des musikalischen Umgangs mit Apps schnell, dass eine Heranführung der Kinder und Jugendlichen an die Geräte kaum notwendig ist. Entscheidender ist die Herangehensweise.

Mit TPACK sollen Lehrende Wissen entwickeln, mit dem primär bei der Planung Inhalt, Methode und Technik zusammengeführt werden. Dahingegen stellt Judith Seipolds Trias das Fremdverstehen, das Denken vom Lernenden aus in den Vordergrund. Dies hat zur Folge, dass die Entwicklung offener Angebote durch Hervorhebung des Affordance-Approach begünstigt, aber nicht darauf beschränkt werden. Auch die Bottom-Up- oder Top-Down-Methode sind in Anbetracht der genannten Vorteile wie beispielsweise die Erhöhung der Partizipation benachteiligter Lerner_innen.

Das Konstrukt Judith Seipolds bietet weiter die Gelegenheit, die eigene bisherige pädagogische Arbeit zu reflektieren. An welchen Stellen gelingt bereits alltagsrelevantes Lernen mit mobilen Digitalgeräten oder wo wird es eher für unterrichtsrelevante Zwecke ‘missbraucht’?

Vor dieser Folie konkrete pädagogische Settings zu untersuchen, wäre ein wichtiger nächster Schritt.

Welche Beispiele aus den drei benannten Herangehensweisen kennen Sie als Pädagoge oder Schüler_in bzw. Adressat? Wie könnte beispielsweise ein gelingender Affordance-Ansatz in der musikalischen Arbeit mit Apps aussehen?

 


 

Literatur und Links

Seipold, Judith (2013): Mobiles lernen – Systematik, Theorien und Praxis eines noch jungen Forschungsfeldes. In: de Witt, Claudia/ Sieber Almut (Hrsg): Mobile Learning. Potenziale, Einsatzszenarien und Perpektiven mit mobilen Endgeräten, Wiesbaden: Springer VS, S.27-54

http://www.judith-seipold.de/2012/03/28/designing-mobile-learning-in-school-contexts-considerations-and-examples-for-practice/

http://franziskarenner.wordpress.com/2014/06/21/was-ist-praktisch-umsetzbar/

http://vimeo.com/65629551

http://2014.gmw-online.de/091/


Eine Antwort zu “Theorie der Praxis – Mobiles Lernen und Unterricht nach Seipold”

  1. […] Drei Ansätze zur Implementierung von Mobiltechnologien in den Unterricht (Seipold 2012). Siehe auch hier. […]

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