Forschungsprojekt MuBiTec – Musikalische Bildung mit Apps

Matthias Krebs | 18. Dezember 2020

Das Projekt „MuBiTec – Musikalische Bildung mit mobilen Digitaltechnologien“ erforschte die Konsequenzen der Digitalisierung im Bereich musikbezogener Bildungspraxis unter Einbeziehung digitaler Mobiltechnologien. Mit dem Ziel einer differenzierten Auseinandersetzung mit mobilen digitalen Musikpraxen befasst sich das Verbundprojekt MuBiTec (gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung) in drei aufeinander bezogenen Teilstudien mit Fragestellungen (1) zur Subjektivierung unter den Bedingungen digital vernetzter Mobiltechnologien, (2) zu Formen des Lernens und ästhetischer Wahrnehmung und (3) zu Wirkungen technologievermittelten Musiklernens. Das Projekt wurde von Prof. Dr. Christian Rolle geleitet (Verbundkoordination) und es waren insgesamt 5 Institutionen an diesem Projekt beteiligt: Uni Köln, Uni Erfurt, MH Lübeck, UdK Berlin, University NORD und der FH Clara Hoffbauer Potsdam. Laufzeit: 01/2018 bis 02/2021

Das Projekt leistete einen Beitrag zur Erforschung von Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Kulturelle Bildung, indem veränderte Formen des Umgangs mit Musik empirisch untersucht wurden und ein theoretisches Modell zu musikalischen Bildungsprozessen im Kontext der Nutzung von mobilen Digitaltechnologien entwickelt wurde.

Untersucht wurden die Mediamorphose künstlerisch-musikalischer Praxis in Online-Offline-Gemeinschaften, das daraus sich ergebende Bildungspotential mit Chancen und Herausforderungen sowie mögliche Implikationen für Kulturelle Bildung. Fragestellung und Forschungsgegenstand erforderten einen interdisziplinären Forschungsansatz, der techniksoziologische, bildungswissenschaftliche und bildungspolitische mit musikpädagogischen und musiksoziologischen Perspektiven zusammenführt. In drei aufeinander bezogenen Teilprojekten wurde ein innovatives methodisches Design entwickelt, das quantitative und qualitative Zugänge verbindet und Ausgangspunkte auch für künftige Forschungen zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung bietet. Damit ermöglichte das Projekt relevante Erkenntnisse zur Bedeutung von Digitalisierung für Bildungs- und Lehr-Lernprozesse in der kulturellen Bildung, in Bildungspolitik sowie im gesamtgesellschaftlichen Kontext.

Teilprojekte

AppKOM – Kompetenzstrukturen und -entwicklung // Leitung: Prof. Dr. Jens Knigge
Die Teilstudie AppKOM untersucht, welche Auswirkungen digitale Medientechnologien im Rahmen non-formaler musikalischer Bildungsangebote auf die Entwicklung individueller musikbezogener Kompetenzen und kompetenzrelevanter Konstrukte, wie etwa die Motivation, haben. In einem quasi-experimentellen Interventionsansatz werden dabei Schülerinnen und Schüler mehrerer Gruppen aus drei unterschiedlichen Angeboten des schulischen Nachmittagsbereichs zu drei Messzeitpunkten befragt. Die Schülerinnen und Schüler nehmen entweder an einer Appmusik-Songwriting-AG, einer Band-Songwriting-AG oder einer AG Darstellendes Spiel teil. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, das besondere Potential digitaler Medientechnologien für die kreative Tätigkeit des Musik-Erfindens differenziert zu analysieren.

LINKED – Musikalische Bildung in postdigitalen Gemeinschaften // Leitung: Prof. Dr. Verena Weidner
Die Teilstudie LINKED untersucht musikalische Bildung unter den Bedingungen digital vernetzter Mobiltechnologien. Ausgangspunkt ist die aus einer lokalen Verknüpfung von Geräten wie Laptops, Smartphones oder Tablets durch die Software Ableton Link hervorgehende musikalische Praxis. In einem Design, das verschiedene ethnographische und diskursanalytische Ansätze verbindet, folgt die Forschung im Sinne der Akteur-Netzwerk-Theorie dem Akteur Link sowohl in Offline-Kontexte (beispielsweise Link-Jam-Sessions) als auch in Online-Kontexte (beispielsweise auf Blogs, in Foren, auf Facebook etc.). Ziel der Untersuchung ist es, das Bildungspotential von Musikpraxen in postdigitalen Gemeinschaften mit mobilen Technologien zu erfassen.

LEA – Lernprozesse und ästhetische Erfahrungen // Leitung: Prof. Dr. Christian Rolle
Das Teilprojekt LEA – Lernprozesse und ästhetische Erfahrungen in der Appmusikpraxis untersucht in einer dreijährigen Längsschnittstudie Lernprozesse und ästhetische Urteils- und Erfahrungsmöglichkeiten im musikalischen Umgang mit digitalen Smarttechnologien. Die Forschungsteilnehmerinnen und -teilnehmer werden jeweils ein Jahr lang bei ihrer Musikpraxis mit dem Smartphone oder Tablet in einem informellen Setting begleitet. Dabei kommen Interviews, Videographie und teilnehmende Beobachtung zum Einsatz. Die Auswertung der Daten erfolgt auf der Grundlage qualitativer Methoden.

Matthias Krebs (UdK Berlin) forschte in den Teilprojekten MuBiTec_LEA und MuBiTec_AppKOM zur Fragestellungen zur ästhetischen Erfahrung und Kompetenzentwicklung.

Kernergebnisse im Teilprojekt MuBiTec_LEA

#1 In der informellen Appmusikpraxis wird die Mobilität der Geräte genutzt, um bestimmte Orte für bestimmte Arbeitsschritte aufzusuchen. So werden etwa die ästhetischen Erfahrungen an „inspirierenden Orten“ für kreative Prozesse genutzt, oder es wird ein „Safe Place“ des Musikmachens aufgesucht, um konzentriert arbeiten zu können. Für diese ortsgebundenen Praktiken ist die wahrgenommene Atmosphäre des Orts entscheidend. Sie können auch als Techniken der Erzeugung von Stimmungen verstanden werden.

#2 Appmusikpraxis als mobile digitale Praxis vereint Aspekte von Mobilität und Virtualität. Dadurch erzeugt sie spezifische Arten von sozialen Räumen. Beim Musikmachen in der Stadt können sich private soziale Räume und öffentliche Stadträume überlagern, was eine kreative, klangvermittelte Aneignung von Orten ermöglicht. Kollaborative Musikpraktiken mit Apps in virtuellen Netzwerken können einen vergleichsweise niedrigschwelligen Zugang besitzen. Das Musikmachen mit Apps in und für Virtual-Reality-Umgebungen erzeugt eine weitere räumliche Dimension der Musikpraxis.

#3 Eine der bestimmenden ästhetischen Erfahrungsweisen in der informellen Appmusikpraxis ist durch eine spielerische Haltung gekennzeichnet. Dabei kann einerseits ein eher offenes, exploratives Spielen bestimmt werden, das für die Appmusikpraxis eine zentrale Funktion in der Bewältigung komplexer und sich beständig wandelnder technologischer Bedingungen erfüllt; daneben aber auch ein Modus des Nebenbei-Spielens, der eher an unmittelbarem Wohlbefinden orientiert ist und eine Nähe zum Gaming aufweist, teils auch durch Strategien der Gamification.

#4 Einige Musikapps bieten technisch-algorithmische Strukturen, durch die die Interaktion mit vorgegebenem Material performativ erweitert wird. Am Beispiel der App PlayGround kann gezeigt werden, wie solche Apps technologievermittelte Spielweisen und damit ästhetische Erfahrungen ermöglichen können, deren Qualität mit einer spezifischen Form der ‚interaktiven Koordination‘ zu tun hat. Sie resultiert daraus, dass man sich in einem gemeinsamen Puls, in ein gemeinsames, aufeinander bezogenes Wechselspiel oder allgemeiner und abstrakter in einer gemeinsamen musikalischen Idee gefunden hat, die in einem symbiotischen Verhältnis zwischen Musizierenden und digitalem Musikinstrument entsteht.

Die wissenschaftlichen Ergebnisse sowie ihre wissenschaftliche und praxisbezogene Anschlussfähigkeit wurden in diversen Publikationen, Vorträgen und Workshops dargestellt. Hier eine Auswahl:

Eusterbrock, L.; Godau, M.; Haenisch, M.; Krebs, M. & Rolle, C. (2021): Von „inspirierenden Orten“ und „Safe Places“: die ästhetische Nutzung von Orten in der Appmusikpraxis. In: J. Hasselhorn, O. Kautny & F. Platz (Hrsg.): Musikpädagogische Forschung Bd. 41 (S. 155–173). Münster: Waxmann.

Eusterbrock, L.; Godau, M.; Haenisch, M. & Rolle, C. (2021): Spielwiese und Spielzeug: Ludische Qualitäten ästhetischer Erfahrung in der Appmusikpraxis. In: V. Krupp-Schleussner, A. Niessen & V. Weidner (Hrsg.): Musikpädagogische Forschung Bd. 42. (S. 199–216) Münster: Waxmann.

Eusterbrock, L. & Rolle, C. (2020): Zwischen Theorien ästhetischer Erfahrung und Praxistheorien. Überlegungen zum Subjekt musikalischer Praxis aus musikpädagogischer Perspektive. In: F. Heß, L. Oberhaus & C. Rolle (Hrsg.): Subjekte musikalischer Bildung im Wandel. Sitzungsbericht 2019 der Wissenschaftlichen Sozietät Musikpädagogik (=Wissenschaftliche Musikpädagogik Bd. 9) (S. 82–103).
Online verfügbar in der Zeitschrift für Kritische Musikpädagogik: Link

Godau, M.; Eusterbrock, L.; Haenisch, M.; Hasselhorn, J.; Knigge, J.; Krebs, M.; Rolle, C.; Stenzel, M. & Weidner, V. (2019): MuBiTec – Musikalische Bildung mit mobilen Digitaltechnologien. In: B. Jörissen, S. Kröner, & L. Unterberg (Hrsg.): Forschung zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung (S. 129–148). München: kopaed.

Jörissen, B.; Schmiedl, F.; Möller, E.; Unterberg, L.; Godau, M.; Eusterbrock, L.; Fiedler, D.; Haenisch, M.; Hasselhorn, J.; Knigge, J.; Krebs, M.; Nagel, M.; Rolle, C.; Stenzel, M. & Weidner, V. (2019): Digitalization and arts education – New empirical approaches. In: Rat für Kulturelle Bildung (Hrsg.): Contemporary Research Topics on Arts Education. German-Dutch Perspectives (S. 22–29). Link

Krebs, M. (2019): Wenn die App zum Musizierpartner wird. Eine Annäherung an die Besonderheiten technologievermittelten Musizierens am Beispiel der Musikapp PlayGround. In: H. Gembris, J. Menze, A. Heye (Hrsg.): Jugend musiziert – musikkulturelle Vielfalt im Diskurs. Schriften des Instituts für Begabungsforschung in der Musik (IBFM) Bd. 12. (S. 235–282). Münster: Lit.

Rolle, C.; Eusterbrock, L.; Fiedler, D.; Friedmann, S.; Godau, M.; Haenisch, M.; Hasselhorn, J.; Krebs, M.; Knigge, J.; Stenzel, M.; Weidner, V. & Lehmann-Wermser, A. (2021): Bericht zum Symposium „Forschungsansätze im Dialog. Zum Verhältnis unterschiedlicher theoretischer und methodischer Zugänge zu musikalischer Bildung mit Digitaltechnologien“. In: V. Krupp-Schleussner, A. Niessen & V. Weidner (Hrsg.): Musikpädagogische Forschung Bd. 42. (S. 237–238). Münster: Waxmann.


Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.