Ein gefühlvolles Vibrato auf dem Tablet spielen… – explorative Videoanalysen

Matthias Krebs | 7. April 2021

Auch im Wintersemester 2021 wurde das Lehramt-Seminar „Musik & Medien” an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main – bedingt durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 – als Online-Seminar via Zoom durchgeführt.

Ein zentraler Seminarinhalt war das Thema „Musizieren mit digitalen Technologien“, womit an die Erkenntnisse aus dem vorangegangenen Semester (–> Videoanalysen zum Musizieren mit Apps) angeschlossen wurde. Um die Not zur Tugend zu machen, wurden die privaten Smartphones und Tablets der Studierenden als Instrumentarium genutzt und standen damit eigene praktische Erfahrungen im Zusammenhang mit Musikapps zunächst im Fokus: Die Seminarteilnehmer*innen musizierten mit Musikapps und nahmen parallel zu den wöchentlichen Seminarveranstaltungen kurze Performancevideos auf. Im Verlauf des Seminars wurden diese später gegenseitig in Hinblick auf die Beschaffenheit der in den Videos festgehaltenen Spielbewegungen analysiert. Damit sollte zunächst im eigenen Spiel (mit dem eigenen Körper) ein Gefühl für ein digitales Instrument entwickelt und aus der Videoanalyse der Spielweisen der Kommiliton*innen Hinweise herausgearbeitet werden, ob und welche Spielbewegungen sich als spezifisch für das digitale Musizieren beobachten lassen. Daran anschließend wurde interpretiert, welche Erfahrungspotenziale die Form des musikalischen Tuns bieten kann.

Es wurden also zwei Ziele verfolgt: Erstens ging es darum, pädagogische Kompetenzen zu schulen, die dabei unterstützen, Musizierhandlungen differenziert zu beobachten und um musikpraktische Erfahrungs- und Lernprozesse förderlich zu begleiten. Die Frage, woran und wie sich Musizieren beobachten lässt, ist für Pädagog*innen von besonderer Bedeutung, um Schüler*innen dabei zu begleiten, körperbezogene Erfahrungen machen zu können. Zweitens galt es zu erkunden, ob sich spezifische Aspekte beim Musizierprozesse mit digitalen Instrumenten beobachten lassen. Dabei rückten besonders die Beschaffenheiten von Spielbewegungen beim Musizieren mit Apps in den Mittelpunkt von Videoanalysen.

In diesen explorativen, auf digitale Musiktechnologien bezogene Studien wurde mithin erkundet, ob und wie Musikempfinden, musikalisches Spüren und sinnliche Wahrnehmung – was jeweils Teil des Unterrichtsziels sein kann und sich in klanglichen und leiblichen Äußerungen zeigt – im Zusammenhang mit einer musikpraktischen Tätigkeit körperlich zu beobachten sind. Eine solche Sensibilität für Musizierprozesse – als interaktives Zusammenspiel von Mensch und Instrument – eröffnet Unterrichtenden in diesem Feld einen neuen Blick auf das Musizieren mit ihren Schüler*innen, es sensibilisiert für bisher nicht beachtete Erfahrungspotenziale und Interaktionsdynamiken und schafft so Räume für die Entstehung von erfüllenden Musizierprozessen. Das digitale Instrumentarium bot hierbei einen herausfordernden Untersuchungsgegenstand, der einerseits die Musikstudent*innen in die Rolle von Instrumentalanfänger*innen versetzte und anderseits vermeintliche Selbstverständlichkeiten des musikalischen Handelns in Frage stellte.

Zum theoretischen Hintergrund

Bei der Analyse der Spielbewegungen mit den ausgewählten Apps wurde sich auf das offensichtlichste beschränkt: das Visuelle und das Auditive. Der Fokus lag also auf den Körpergesten der Musizierenden, wie sie von Beobachtenden beschrieben und interpretiert werden können.

Leitende Fragestellungen waren:

  • Wie ist die Beziehung zwischen einzelnen Spielbewegungen und Klangereignissen beschaffen?
  • Welche unterschiedlichen Qualitäten haben einzelne Körperbewegungen in bestimmten Phasen? Wie können diese erklärt werden?
  • In welcher Beziehung stehen die Spielbewegungen zu technischen Bedingungen?

Die Analyse bezog sich also auf die aktive Auseinandersetzung des Subjekts in sinnlich-körperlicher Interaktion mit digitalen Dingen.

Als theoretischer Bezugsrahmen wurden wahrnehmungspsychologische Überlegungen ausgewählt, insbesondere die psycho-ökologische Theorie des Psychologen James Gibson (1979 [1982]). Der Schwerpunkt seiner Theorie liegt dabei weniger in der kognitiven Verarbeitung, als vielmehr auf der Interaktion der oder des Wahrnehmenden mit bestimmten Eigenschaften der Umwelt. Der wahrnehmende Organismus exploriert dabei seine Umwelt (körperlich) aktiv, was den Positionen des Behaviorismus und Kognitivismus widerspricht. Gleichzeitig geschehen Wahrnehmungsprozesse nicht unspezifisch und sind nicht allein von der Existenz jeweiliger Sinnesorgane abhängig, sondern von der Spezifik der kulturellen Praxis. Damit wird die Beschreibung menschlicher Umwelt als unspezifisch physikalische aufgegeben. Darüber hinaus erhält der Körper eine existenzielle Bedeutung, in dem Sinne, dass es zu einer Erweiterung des Körperverständnisses als Werkzeug hin zu einem Bewegungs-, Erlebens- und Gestaltungssystem der menschlichen Existenz kommt.

Grundlage für die Analyse war, dass Spielbewegungen jedoch nicht allein eine Bedeutung für die (Selbst-)Wahrnehmung beim Musizieren haben. Sie können ihrerseits Beobachtenden/Zuhörenden (bzw. dem Publikum) viel darüber verraten, wie die Musizierenden ihr Spiel wahrnehmen. Die Art und Weise der Spielbewegungen, die zeitliche Struktur der musikalischen Handlungen und der Klang spezifizieren, was ein Ausführender tut (vgl. Windsor, 2011, S. 47 f.). Diese Aspekte können vermitteln, ob es sich um eine musikalisch-geführte Geste oder um eine zufällige, unbedeutende oder nicht kommunikative Bewegung handelt. Es können keine Aussagen darüber getroffen werden, was ein Interpret denkt, aber es kann beobachtet werden, wie sie oder er sich bewegt – was uns nützliche Informationen zur Interpretation zu ihrer bzw. seiner Vorstellung von der Musik sowie den Fertigkeiten, Konflikten etc. geben kann. Mit anderen Worten: Wir nehmen das Spiel und den Klang nicht nur für sich selbst wahr, sondern als Quelle von Informationen über die verschiedenen körperlichen Gesten, die diesen Klang erzeugen.

Die Analyse von Spielbewegungen ist jedoch in Bezug auf digitale Musiktechnologien besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Technisch gesehen ist mit der Entwicklung digitaler Klangerzeugungsverfahren eine spezifische Körperbewegung, die ein physikalisches System in Schwingung versetzt, überflüssig geworden, um Klang über Lautsprecher hörbar zu machen. Der Vorgang der Klangerzeugung durch das Auslösen von Steuerdaten kann somit ganz „undramatisch” an einem Laptop sitzend erfolgen. Wie die Beziehung zwischen Bewegung und Klang gestaltet ist, „wird mit der Digitalisierung […] zu einer Entscheidung, die frei von instrumentaler Bedingtheit getroffen werden kann und muss“ (Weissberg & Harenberg, 2010, S. 7). – Welchen Einfluss hat dieser Zusammenhang auf die tatsächlich stattfindende Spielbewegung, die ja ihrerseits einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung des Selbst und des Klangs hat?

Zur Seminararbeit

Untersuchungen von Musizierhandlungen mit digitalen Technologien – im Sinne von interaktiv vollzogenen Performances – sind methodisch herausfordernd (Leman, 2008, S. 183) und daher bislang ein Desiderat. Um das Phänomen ‚digitalen Musizieren‘  besser zu verstehen, wurde im Seminar ein künstlerisches Projekt durchgeführt. Die Seminarteilnehmenden wählten sich eine App aus und erhielten den Auftrag, wöchentlich eine einminütige Performance aufzunehmen und den anderen als Video zur Verfügung zu stellen. Die Videoperformances wurden dann in der Seminargruppe reflektiert. Die Selbsterfahrung und die Diskussionen stellten im späteren Verlauf des Seminars eine Basis für die analytische Betrachtung der Videos dar.

Aufgabe:

Spielt mit einer der vorgestellten Shred-Apps ein selbstgewähltes Jazz-Stück von etwa einer Minute Länge.

Gestaltet bzw. entscheidet euch für einen passenden Sound und eine passende Spieloberfläche. Schaut euch im Menü die Klangeinstellungen und Einstellungen für das Spielinterface an.

Ihr könnt selbst entscheiden, ob ihr lieber improvisieren oder nach einer Vorlage spielen wollt. Empfehlenswert ist, euch ein Playback als Begleitung zu suchen.

Performt diese Musik live. Nehmt die Performance als Video auf und ladet die Aufnahme bis Mittwoch in euren YouTube-Kanal hoch oder schickt sie per WhatsApp.

Auf der Folie befinden sich die empfohlenen Apps für das Praxisprojekt.

Im Verlauf des Seminars sind von jeder*jedem Studierenden vier Videos entstanden. Diese Videos wurden wechselseitig hinsichtlich verschiedener Performanceaspekte kommentiert.

Im Anschluss wählten sich die Studierenden Videos einer*eines Partner*in aus um diese dann im Detail zu untersuchen. Dabei gaben die folgenden Fragestellungen einen Leitfaden:

  • Welche unterschiedlichen Qualitäten an Spielbewegungen lassen sich beim Musizieren mit Apps durch Beobachtung identifizieren? Was zeichnet sie aus? Beschreibe einzelne, (kurze) voneinander unterschiedliche Phasen.
  • Welche Vergleiche lassen sich in Bezug auf die Spielbewegungen zum Musizieren mit einem traditionellen Instrument (Klavier, Violine, Gitarre) ziehen? Finde bei YouTube ein angemessenes Video zum Vergleich und beschreibe auch darin die ähnlichen Spielbewegungen in bestimmten Phasen (das muss nicht das ganze Video sein!).
  • Wie könnte das ideale Musizieren mit der untersuchten App aussehen?
  • Welche Veränderungen in den Spielbewegungen sind im Vergleich vom ersten zum dritten Video zu beobachten?

Die nachfolgenden Analysen müssen als explorative Bestrebungen verstanden werden die Bedingtheiten des instrumentalen Musizierens zu fassen, wobei sich in den Beschreibungen eigene Musiziererfahrungen mit traditionellen Instrumenten mit Beobachtungen und ersten Erfahrungen im Zusammenhang mit den digitalen App-Instrumenten konstruktiv ergänzen.

Literatur:

Gibson, J. (1982): Wahrnehmung und Umwelt. München, Wien: Urban & Schwarzenberg.

Weissberg, D. & Harenberg, M. (2010): Einleitung. In: M. Harenberg & D. Weissberg (Hrsg.): Klang (ohne) Körper. Spuren und Potenziale des Körpers in der elektronischen Musik (S. 7-18). Bielefeld: Transcript Verlag.

Leman, M. (2008): Embodied Music Cognition and Mediation Technology. Cambridge: The MIT Press.

Windsor, W. L. (2011): Gestures in Music-making: Action, Information and Perception. In: Gritten, A. & King, E. (Hrsg.): New Perspectives on Music and Gesture (S. 45-66). Farnham: Ashgate.

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Videoanalyse 1

von Milena

In diesem Beitrag will ich verschiedene Videomitschnitte von kurzen Musikeinspielungen beschreiben und dabei unterschiedliche Qualitäten der Interaktion der Spielenden mit ihrem Instrument, also die Art der Spielbewegungen, fokussieren.

Spielbewegungen beim Musizieren mit einer Tablet-App

Im ersten Video ist ein Tablet zu sehen, das auf einem weichen, schwarzen Untergrund liegt. Es ist vermutlich mit einer Lautsprecher verbunden, da man ein Kabel sieht, was auf der rechten Seite des Tablets eingesteckt ist. Auf dem Android-Tablet ist die Spieloberfläche der App „Muse Lead“ zu sehen: Sie ist ähnlich wie eine Gitarre aufgebaut, da dieses „Instrument“ ebenso sechs „Saiten“ aufweist. Die kleine Kästchen mit Notennamen können als die einzelnen Bünde verstanden werden.

Die Melodie, die ab ca. Min. 0:03 erklingt, wird von einem Schlagzeug-Loop begleitet, der von einem technischen Wiedergabegerät abgespielt wird, welches allerdings nicht im Video zu sehen ist. Das Schlagzeug gibt mit drei Schlägen das Tempo vor, bevor die spielende Person mit der Melodie einsetzt: Ihre Hand kommt von der unteren linken Seite ins Bild und positioniert sich elegant ein paar Zentimeter über dem Tablet. Dabei bewegt sie sich auch passend zum Takt, also nicht zu schnell und nicht zu langsam. Der erste Ton wird mit dem Mittelfinger gespielt. Die Person berührt die „A-Taste“ mit der ganzen Fingerkuppe, bewegt den Finger dann hin und her, ohne die Intensität des Drucks zu ändern, um ein Vibrato zu erzeugen. In der Zeit von Min. 0:03 bis 0:05 spielt die Person die ersten vier Töne der Melodie, die ich im Folgenden „Thema” nennen werde. Um Ton Zwei dann mit dem Ringfinger spielen zu können, wird die „Saite“ gewechselt. Dabei geht die Person schon während des ersten Tons mit dem Ringfinger halb unter den Mittelfinger, wobei sie es schafft, die Melodie nicht abbrechen zu lassen und zusammenhängend weiterzuspielen. Den dritten Ton spielt sie wieder auf der „Anfangssaite”, aber diesmal mit dem Zeigefinger, der vorher von der Legatospielbewegung abgesetzt werden muss, wodurch ein Bruch entsteht. Danach folgt mit dem Mittelfinger erneut der Anfangston. Die jeweils anderen Finger, die währenddessen nicht gebraucht werden, werden flexibel von der Handfläche abgespreizt, ohne angespannt zu wirken. Von Min. 0:06 bis 0:09 wiederholt die spielende Person das Thema mit der gleichen Spielweise.

Bei ca. Min. 0:10 gibt es eine minimale Pause in der Melodie; der Mittelfinger wird in diesem Moment vom Tablet abgehoben, aus dem Handgelenk heraus geführt. Dabei folgen alle Finger elegant, fast schon tänzerisch; diese Bewegung kennt man vielleicht vom Spielen einer langsamen Melodie an einem Klavier. Ab Min. 0:11 wiederholt sich das Thema, wird aber durch eine Art Zwischenpart ergänzt. In diesem Teil werden auch Töne auf einer weiteren, höheren „Saite“ verwandt: Nach der Wiederholung der Anfangsmelodie springt die Person mit dem Mittelfinger nun zur dritten „Saite“. Dabei benutzt sie bei dem Ton A, den sie zuvor immer mit dem Mittelfinger gespielt hat, jetzt den Ringfinger. Das führt dazu, dass bei dem darauffolgenden, wiederholten Anfangsthema zweimal hintereinander der Ringfinger benutzt wird, um die „Saite” A anzuspielen. Das Thema wird zudem durch eine Verzierung ergänzt: Ring- und Mittelfinger sind auf zwei genau nebeneinander liegenden Tönen positioniert und werden nacheinander abgespielt, wobei der Ringfinger zuerst zum Einsatz kommt, aber schnell wieder gehoben wird. Dadurch entsteht ein schneller Vorhalt.

Allgemein endet jeder Part auf dem Ton A, der auch immer mit einem Vibrato versehen wird. In Min. 0:35 folgt ein Wechsel zu einer anderen höheren „Saite“; die Person hebt die Hand etwas vom Tablet, um schneller an sie heranzukommen. In der Zeit zwischen Min. 0:36 und 0:44 erklingt eine Art Variation des Themas, nur eine Oktave höher als zuvor – endet aber trotzdem beim Anfangston. Wie immer werden hier Zeige-, Mittel- und Ringfinger benutzt. Danach folgt eine einfache Wiederholung des Themas inklusive Zwischenpart. Dies wird zwar vergleichbar zum letzten Mal gespielt, nur dass die spielende Person jetzt den Wechsel vom vorletzten zum letzten Ton durch eine „Slide-Bewegung“ vornimmt: Sie fährt mit dem Zeigefinger über mehrere „Tasten“, die nur teils erklingen, um wieder auf „A“ zu enden. Die Person beendet ihr Spiel in Min. 0:55 bis 1:00 mit einer erneuten Wiederholung des einfachen Themas. Dabei benutzt sie genau die gleichen Spieltechniken wie am Anfang. Nachdem sie den letzten Ton gespielt hat, hebt sie, wieder vom Handgelenk geführt, die Hand wellenartig vom Tablet ab. Die Finger folgen der Bewegung in einer schwungvollen Art und Weise (wieder tänzerisch).

Spielbewegungen beim Musizieren mit einem Keyboard

Im Folgenden will ich die Spielbewegungen im Zusammenhang mit dem Tablet mit denen auf einem anderen Instrument vergleichen. Dazu habe ich ein Video gewählt, in dem ein Musiker auf einem Keyboard einen Blues spielt. Das Spiel will ich zunächst beschreiben und mich besonders auf den Anfang des Videos bis ca. Min. 0:36 konzentrieren.

Im Bild sind nur das Keyboard und die Hände einer Person schräg von links zu sehen. Genau wie im ersten Video wird das Musikstück von einem Schlagzeug begleitet, das hier ebenso nicht zu sehen ist, vermutlich aber im Keyboard als Begleitung eingestellt wurde.

Anders als im ersten Video wird hier mit zwei Händen gespielt: mit der linken Hand Akkorde und mit der rechten Hand eine Melodie. In der Zeit von Min. 0:01 und 0:02 macht sich die Person, die spielen wird, bereit; das heißt, die Hände werden schon einmal in die Nähe der Tasten geführt. In Min. 0:03 beginnt die Person mit dem Spielen: Die linke Hand spielt zunächst bis Min. 0:11 zwei Akkorde, indem sie mit mindestens drei Fingern zeitgleich verschiedene Tasten drückt; durch die Kameraeinstellung ist die genaue Anzahl nicht immer zu sehen. Währenddessen produziert die rechte Hand kurze, Stakkato-ähnliche Töne als Oberstimme, wobei die Finger vor dem Anspielen des ersten Tons gerade ausgestreckt werden, damit der Daumen an die entsprechende Taste kommt. Danach werden sofort alle Finger wieder gekrümmt, wie es beim Tastenspiel üblich ist. Die Melodie ist einstimmig. Die Handgelenke sind jeweils relativ stabil; die Hauptbewegung kommt vor allem aus Unterarm bzw. Ellenbogen. Danach wird die Melodie teilweise zweistimmig. Hierfür drückt die Person Zeigefinger und Ringfinger zeitgleich auf die Tasten.
In diesem Abschnitt (Min. 0:12 bis 0:16) kann man gut durch den Schatten, den der Körper der Person wirft, sehen, dass sich der Körper schwungvoll mit der Musik bewegt, wodurch auch die Unterarme der Person entsprechend mitschwingen. Trotzdem bleiben die Finger der linken Hand, die durchgehend noch die Akkorde spielen, auf „ihren“ Tasten liegen; die Bewegung des Körpers wird also scheinbar durch den Ellenbogen austariert.

Es folgt eine Weiterführung in einen neuen Part der Melodie, der vor allem aus einer Tonleiter besteht. Wenn der Daumen hierbei benutzt wird, wird er unter die Handfläche geschoben, um mit ihm – ohne große Bewegungen und ohne Pause – den nächsten Ton spielen zu können. Allgemein streckt die spielende Person immer vor dem Ansetzen ihre Finger der rechten Hand unangestrengt aus, um sie dann wieder flexibel schnell wie möglich für zu krümmen. Für das Spielen von schwarzen Tasten wird der jeweilige Finger ebenso beim Spielen gestreckt. Zudem werden die anderen Finger gestreckt, wenn der Daumen benutzt wird. Grundsätzlich kann aber gesagt werden, dass beide Hände immer sehr nah über den Tasten sind. Nach dieser Weiterführung der Melodie als eine Art zweiter Teil folgt eine Variation ebenjenes Teils. Dabei ist gut zu beobachten, dass vor allem der Zeigefinger der linken Hand, der beim Akkord nicht gebraucht wird, nach vorne ausgestreckt wird.

Videovergleich

Wenn man jetzt die zwei Videos mit dem Aspekt vergleicht, Merkmale in den Spielbewegungen finden zu wollen, die eher auf ein Musizieren im Sinne einer musikalisch-ästhetischen Wahrnehmungsweise hinweisen (also auf die klangliche bzw. die musikalische Gestaltung gerichtet ist) oder die eher technisch sind (also auf technische Abläufe/Funktionen gerichtet sind), fällt sofort die starke Bedeutung der Spielbewegungen für das musikalische Spiel der beiden Personen auf. Einerseits erscheint sie nötig, andererseits wirkt es eben sehr musikalisch-tänzerisch, was bezogen auf das Spiel mit dem Tablet überrascht. Trotzdem zeigen sich Unterschiede: Im ersten Video wird durch eine schwungvolle Bewegung die Hand, vom Handgelenk nach oben geführt, vom Tablet wegbewegt, wobei die Handgelenke im zweiten Video sich fast gar nicht bewegen. Die Schwingung des Körpers wird dort vor allem durch die Ellenbogen geführt.

Was in beiden Videos zu erkennen ist, ist die Tatsache, dass beide Personen bestimmte Finger unter die Handfläche oder unter einen anderen Finger führen, um schneller die nächsten Töne zu produzieren. Dies demonstriert, wie also verschiedene Spielweisen mit Ausdruck gespielt werden. Es zeigt sich auch im ersten Video mit dem Tablet musikalisch-ästhetisch und nicht nur technisch wirkungsvoll.

Ein weiterer, auffälliger Unterschied betrifft das Vibrato-Spiel auf dem Tablet. Das Vibrato wirkt in seiner Schnelligkeit für das Tempo der Melodie nicht ganz stimmig, außerdem macht die Handhaltung dabei den Anschein, als würde sich die Hand versteifen. Dies könnte eventuell darauf zurückzuführen sein, dass die spielende Person vielleicht nicht geübt darin ist, ein Vibrato überhaupt anzuwenden. Diese Form der Verzierung verleiht dem Spiel jedoch eine individuelle musikalisch-ästhetische Wirkung. Es scheint darüber hinaus aber auch der spielenden Person ein Bedürfnis zu sein. Da man auf einem Keyboard kein Vibrato erzeugen kann, ist eine solche Spielbewegung nicht anwendbar.

Die kurzen Vorhalte in Min. 0:25 und Min. 0:51, die als eine weitere Verzierungsform im ersten Video beobachtet werden können, sind vergleichsweise ähnlich auch öfter im zweiten Video des Keyboardspiels zu sehen. Beide Personen spielen diese Vorhalte mit zwei nebeneinanderliegenden Fingern, um nicht mit einem Finger springen zu müssen. Dies ist ein Aspekt, der vor allem im zweiten Video am Keyboard so ausgeführt ist, weil es technisch höchstwahrscheinlich nicht anders funktioniert. Auf dem Tablet hätte das beispielsweise auch durch eine Slide-Bewegung erreicht werden können. Ob dies aber dieselbe ästhetische Wirkung oder eben eine ganz andere gewesen wäre, ist fraglich.

Wenn man beide Videos auf ihre Komplexität der Musik und die Form der Spielbewegungen vergleicht, kann klar gesagt werden, dass es sich bei dem zweiten Video um eine*n Musiker*in handelt, die*der es geübt ist, auf dem Keyboard/einem Tasteninstrument zu spielen. Anders ist es beim ersten Video: Die spielende Person ist vergleichsweise nicht ganz so flüssig und rund in ihren Bewegungen und beschränkt sich auf weniger Töne. Auch die Variationen der Melodie (eventuell auch Improvisation über die Melodie) sind nicht sehr komplex. Daraus abzuleiten ist, dass die Person noch nicht allzu viel Musiziererfahrung mit der App als „Instrument” sammeln konnte und vielleicht auch mit der Art von Musik (Jazz) nicht unbedingt vertraut ist.

Wie könnte das ideale Tablet-Spiel aussehen?

Wenn man sich Gedanken macht, wie das „ideale” Musizieren mit der App am Tablet aussehen könnte, müsste sich die Person eine lockerere Handhaltung aneignen, da die spielende Hand auf Dauer angespannt wirkt. Dies könnte dann auch positive Folgen auf die Beweglichkeit der Finger und den Klang des Gespielten haben. Außerdem könnte dann die gesamte Bandbreite an Tönen, die das „Instrument” hergibt, ausgeschöpft werden. In der Analyse des Videos konnten schon eine ganze Reihe an unterschiedlichen Spielweisen mit verschiedenen Wirkungen beschrieben werden (z.B. Legato, Absetzen, Slides). Diese könnten sicherlich noch erweitert und konkretisiert werden.
Da die App so aufgebaut ist wie eine Gitarre, also mehrere „Saiten” hat, könnte man zusätzlich auch noch versuchen, mehrere Stimmen zu spielen, indem man mindestens zwei Töne auf zwei Saiten gleichzeitig „antippt”. Dadurch könnte es schon gleich viel virtuoser klingen. Um dies leichter durchzuführen wäre es hilfreich, beide Hände zu benutzen und nicht nur eine Hand, wie die hier beschriebene Person.

Die App hat sehr viele unterschiedliche Sounds, die ausprobiert werden können; es wäre also auch möglich während des Spielens zwischen verschiedenen „Presets”, wie es die App nennt, zu wechseln, um somit noch mehr Abwechslung im Klang einbringen zu können.

Ein Lernfortschritt

Nach etwa zwei Wochen haben wir ein weiteres Video erhalten, in dem eine aktuelle Aufnahme des Musizieren der Person zu sehen ist.

In diesem Video der Person, die die App auf dem Tablet spielt, kann man schon Ansätze des oben beschriebenen „Idealfalls” beobachten: Das gespielte Stück ist sehr viel komplexer und beinhaltet viel mehr Töne als das erste. Die verwendeten Töne sind diesmal in der Mitte des Bildschirms und nicht nur links seitlich positioniert, wie es im ersten Video war. Die Hand wirkt deutlich lockerer, obwohl sie sich schneller bewegen muss, da das Stück um einiges schneller ist als das andere. Wie auch im ersten Video benutzt die Person besonders Zeige-, Mittel- und Ringfinger; trotzdem sieht es viel erprobter aus, welcher Finger hier welchen Ton greift. Es macht einen sehr viel sichereren Eindruck und die Bewegungen sind fließender. Auch baut die spielende Person eine Verzierung ein, die ebenso im ersten Video zu sehen war: die Slide-Bewegung über die „Tasten” von einem Ton zu einem anderen. Dabei ist die Bewegung sehr viel präziser ausgeführt und als geübter Effekt gewählt, um die Musik noch interessanter machen zu können.


Videoanalyse 2

von Kristina

Video 1 – ExpressionPad

Kontext: Das Video entstand im Kontext eines Seminars zum Thema „Musik und Medien” an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main. Die Studentin hatte in diesem Seminar die Aufgabe bekommen, sich eine Musikapp herunterzuladen und damit ein Musikstück von ca. einer Minute Länge zu produzieren. Die Spielerin entschied sich für die App „expressionPad”, welche kostenfrei im Apple App Store erhältlich ist, zur Aufnahme des Musikstücks. Im Seminar hatte die Studentin von sich gesagt, dass bisher keine nennenswerten Vorerfahrungen im Komponieren oder Musizieren mit Apps habe (wie die anderen auch). Es handelt sich bei diesem Video um das Ergebnis eines ersten Versuchs im Umgang mit einer bis dato (relativ) unbekannten Musikapp.

Abschnitt 1 (Min. 00:00 bis 00:20)

Die Kamera ist so positioniert, dass man aus der Vogelperspektive nur die Hände der Spielerin und das iPad betrachten kann. Die Spielerin hat sich für ein buntes Layout der Klaviatur entschieden; es sind vier Reihen mit jeweils elf Tasten mit Notenaufschrift in einer Reihe zu sehen. In den ersten 20 Sekunden des selbst komponierten Stücks nutzt die Spielerin nur ihre rechte Hand, während die linke leicht über den Tasten schwebend neben dem iPad liegt und auf ihren Einsatz zu warten scheint. Die Spielerin hat sich für einen synthetischen, relativ dunkel klingenden Sound entschieden und nutzt bereits bei der ersten Noten ein vibrato, welches im weiteren Verlauf des Stückes regelmäßig eingesetzt wird. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand spielt sie die erste Note an und übt mit leicht kreisenden Bewegungen auf diese Taste scheinbar erhöhten Druck aus, sodass es zu verstärkten Schwingungen der Note kommt und somit deren Klangnatur verändert wird.

Auf dieses erste vibrato folgt eine glissando-artige Tonleiter nach oben und wieder zurück zur Ausgangsnote. Dabei wird bis zur finalen Wiederholung der Anfangsnote der Finger nicht gewechselt oder von der „Klaviatur” entfernt. Bei den höchsten und tiefsten Tönen der glissando-Passage nutzt die Spielerin erneut den vibrato-Effekt, welcher zu einer hypnotischen und melancholischen Qualität des Werkes beiträgt. Rein von der Motorik des vibratos her kann bemerkt werden, dass die Spielerin manchmal relativ schnelle, kreisende Bewegungen macht, was sich in der Frequenz der Schwingungen der Note bemerkbar macht, während in anderen Momenten nur vereinzelt, kurz wenig Schwingung durch die vibrato-Bewegung eingesetzt wird. Dadurch wird deutlich, dass die Spielerin sich bewusst mit der vibrato-Funktion der App auseinandergesetzt und diese differenziert und zielgerichtet in ihr Spiel mit eingebaut hat.

Abschnitt 2 (Min. 00:20 bis 00:55)

Ab Min. 00:20 setzt die Spielerin nun ihre linke Hand ein und nutzt diese als Bass, wobei auch hier direkt beim ersten Einsatz bereits das vibrato genutzt wird, was für mehr Intensität sorgt. Im weiteren Verlauf des Stücks fungiert die linke Hand durchgängig als ein untermalender Bass- oder Oberton, der lange gehalten wird, während die rechte Hand die Melodiestimme übernimmt. Es ist auffällig, dass die linke Hand gerade dann das vibrato einsetzt, wenn die rechte Hand dies auch tut, was für eine gewisse Harmonie und Symmetrie zwischen den Händen sorgt. Meist werden die oberste und tiefste Note der glissando-Passage durch ein vibrato in der rechten Hand besonders akzentuiert, was in Kombination mit der zusätzlichen klanglichen Unterstützung durch die linke Hand für ein durchdachtes Komponieren und Musizieren spricht. Auffällig ist, dass die Spielerin fast ausschließlich nur den Zeigefinger in der rechten und den Mittelfinger in der linken Hand nutzt, was sich jedoch bei der Konzeption ihres Werks durchaus anbietet und logisch erscheint. Sie beendet das Stück mit einer parallelen Verschiebung beider Hände auf deren finale Noten. Diese werden erneut durch das charakteristische vibrato in der rechten Hand untermalt und lässt das Musikstück mit der ruhigen, tiefen Melancholie enden, mit welcher es begonnen hat.

Video 2 – Cello 

Kontext: Mischa Maisky ist ein lettischer Cellist und Berufsmusiker. Der von mir gewählte Ausschnitt stammt aus der Allemande, die Teil von Bachs Cello Suite Nr. 1 in G-Dur ist. Maisky ist ein Virtuose auf seinem Gebiet, was den Vergleich zwischen seiner Expertise und der ersten Auseinandersetzung einer Studentin mit einer Musik-App auf den ersten Blick vielleicht unklar macht. Ich hatte mich jedoch für einen Ausschnitt eines Profis auf dem Cello entschieden, weil ich in dem häufigen Einsatz des vibratos der Spielerin eine Verbindung mit einem Streichinstrument sah und die gewählte Intensität als auch die klangliche Fülle ihres Spiels mich stark an das Cellospiel erinnerte. Ich selbst bin keine Cellistin und verfüge über sehr wenig Fachwissen in Bezug auf Streichinstrumente. Deshalb bitte ich mögliche Fehlinterpretationen meinerseits zu verzeihen.

Kleiner Ausschnitt aus der Allemande (Min. 02:45 bis 03:46)

Analyse und Vergleich

Ich habe mich für den Vergleich besonders auf den Abschnitt von Min. 02:45 bis 03:46 konzentriert. Ich habe diesen kurzen Ausschnitt der Allemande gewählt, weil hier ebenfalls häufig Tonleiter-Passagen als auch ein ausdrucksstarkes vibrato zum Einsatz kommen und ich darin die Verbindung zum ExpressionPad-Video sah. Der Cellist wurde hier hauptsächlich von vorne gefilmt, wobei auch andere Kamerapositionen ihn von der Seite zeigen und in diversen Einstellungen verschieden nah an seine Finger der die Saiten greifenden linken Hand heranzoomen.

Ein eindeutiger Unterschied zwischen dem Spielen des Cellos und des iPads äußert sich in der Spielweise der Tonleiter: Während die Spielerin im ersten Video lediglich mit einem Finger nach oben bzw. unten strich, um eine glissando-artige Tonleiter fabrizieren zu können, gestaltet sich dieser Prozess auf dem Cello als deutlich komplexer, da jede Note einzeln gegriffen werden muss. Würde man das Spielen einer Tonleiter auf dem Tablet mit dem auf einer Klaviatur eines tatsächlichen Klaviers vergleichen, so wäre dies auch dort eine anspruchsvollere Handhabung: Wenn man sich für ein glissando entscheiden würde, müsste man beim Klavierspiel die Handfläche nach oben drehen, sodass man mit dem Nagelbett nach oben bzw. unten gleiten könnte. Dies wäre noch die leichteste Variante, doch bereits das erfordert einen höheren Arbeitsaufwand als ein glissando mit dem Tablet. Das derartig schnelle Spielen von Note zu Note einer Tonleiter auf dem Klavier  bräuchte ein erhebliches Maß an Übung. Was in der App mit einem Finger möglich ist, erfordert auf dem Cello oder einer tatsächlich Klaviatur alle Finger einer Hand – ganz abgesehen von den koordinativen Ansprüchen der Aufgabe, dem Tempo, der Sauberkeit der Passage etc. An diesem Beispiel sieht man also, dass das Spielen einer relativ einfachen Passage mit der Musikapp ein erhebliches Maß an Expertise auf einem „echten“ Instrument erfordert und die beiden Spielarten, obwohl sie in ihrem theoretischen Kern gleich erscheinen, in der Praxis von daher nicht miteinander vergleichbar sind. Auch auf dem Griffbrett des Cellos scheint die Umsetzung deutlich komplexer zu sein als auf dem Tablet: Beim Cello benötigt es eine hohe Treffsicherheit, ein herausragendes Gehör sowie musikalisches Gespür um ein sauberes und angemessenes vibrato zu produzieren.

Bei der App erübrigen sich zumindest die Treffsicherheit und das Gehör, da man die Töne, welche man stärker schwingen lassen möchte, als Taste vor sich sieht und die Zwischentöne automatisch erklingen, was die das Spiel einer aufstrebenden Klangbewegung deutlich vereinfacht. Dies bedeutet aber nicht, dass man bei der App dadurch weniger musikalisches Gefühl braucht, um beurteilen zu können, wie stark und wie lange das vibrato gehalten werden sollte. Ich glaube, dass sowohl bei der Musikapp als auch beim echten Instrument ein gewisses Mindestmaß an musikalischer Vorerfahrung und Feingefühl benötigt wird, um etwas produzieren zu können, das man als Musik bezeichnen kann. Jedoch finde ich, dass gerade dieser Vergleich zwischen App und Cello verdeutlicht, dass es einfacher und schneller möglich ist, gewisse musikalische Abläufe erfahrbar zu machen, die auf einem Instrument aufgrund des eindeutig größeren Anspruchs langfristiges und mühsames Üben erfordern würden.

Aus diesen Beobachtungen will ich nun versuchen, eine ideale Spielweise mit der App „expressionPad” zu konstruieren. Als einen möglichen Verbesserungsvorschlag könnte man ins Feld führen, dass die Spielerin ausprobieren sollte, mehrere Finger beim Spielen zu benutzen und die linke Hand aktiver einzusetzen. Bei einem ersten Kennenlernen mit dem App-Musizieren ist es aber durchaus zu erwarten, dass die Spielerin sich auf diesem neuen „Instrument” noch nicht so gut auskennt und deshalb möglicherweise in dem Einsatz der Finger noch etwas vorsichtig bzw. sparsam war.

Video 3 – Analyse und Vergleich mit Video 1

Im Folgenden will ich noch ein weiteres Video beschreiben. Dabei handelt es sich bei diesem Video (fortan als „Video 3” bezeichnet) erneut um die Spielerin, welche wir bereits in Video 1 am iPad kennenlernen durften. Ich will diese beiden Videos hier nun abschließend vergleichen.

Es wurde wieder das bunte Tasten-Design der App „expressionPad” gewählt und die Vogelperspektive der Kamera beibehalten. Zwischen der Aufnahme von Video 1 und diesem hier liegen zwei Wochen, in denen sich die Spielerin mit der App ausprobieren durfte. Wichtig zu bemerken ist, dass es bei Video 1 die Aufgabenstellung an die Spielerin gab, sich selbst eine Jazz-Melodie anhand einer Musikapp auszudenken. In Video 3 erklingt diesmal keine Eigenkomposition, sondern es wurde eine bekannte Jazz-Melodie ausgewählt, zu welcher die Spielerin außerdem einen passenden Jazz-Backing-Track auf YouTube gefunden hat, der als musikalischer Hintergrund für ihre Melodie diente. Dass in diesem dritten Video der Aspekt des eigenständigen Komponierens fehlt, erscheint mir als bedeutsam, da dieser möglicherweise als erschwerend in Video 1 wahrgenommen wurde. Ob die Musikerin das Komponieren als zusätzliche Herausforderung empfand, kann hier nicht mit Genauigkeit gesagt werden.

Was jedoch auf jeden Fall deutlich wird, ist, dass im Umgang mit der Musikapp von Video 1 hin zu Video 3 große Fortschritte gemacht wurden. Die bereits angesprochenen Aspekte des Ideals sind in diesem dritten Video schon deutlich ausgereifter wiederzufinden: Die Musikerin nutzt weniger steif und unsicher nur jeweils einen Finger einer Hand, sondern setzt in beiden Händen kontinuierlich und abwechselnd den Zeige- und Mittel-, manchmal auch den Ringfinger ein. Das deutet darauf hin, dass die Spielerin das Stück schon mehrmals vor der Aufnahme geübt hat und sich auf der Klaviatur der App wohl genug fühlte, um ihre Hand in ihrer gesamten Funktionsfähigkeit einsetzen zu können – oder zumindest, inwieweit es ihr der schmale Platz auf dem Tablet erlaubte.

Des Weiteren ist auffällig, dass die linke Hand in Video 3 aktiv im Dialog mit der rechten Hand steht und damit eine deutlich tragendere Rolle übernimmt als im ersten Video. Die Hände scheinen bei Video 3 in einem dynamischen und zielgerichteten Wechselspiel miteinander zu sein, was erneut darauf hindeutet, dass die Spielerin beim Spielen mehr Sicherheit und Selbstbewusstsein zu empfinden schien. Es liegt nahe, dass sich die Musikerin in den zwei Wochen intensiv genug mit der App auseinander gesetzt hat, um ein besseres Gefühl für die Spielmöglichkeiten auf dem Tablet entwickeln zu können. Des Weiteren scheint sie diese Möglichkeiten durch Üben und Wiederholen des Stückes ausreichend ausgeschöpft zu haben, was letztendlich zu der ausgewogenen Interpretation in Video 3 geführt hat.

Interessant wäre es noch zu bemerken, dass ich – ausgehend von dem vibrato und der gewählten Klangtiefe in Video 1 – ein Cello als Vergleichsinstrument (Video 2) gewählt hatte: Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass die Spielerin der iPad-Videos tatsächlich selbst Cellistin ist. Es schien mir, als hätten sich die musikalischen Vorlieben und Spielgewohnheiten der Musikerin bei der Nutzung der App unbewusst eingeschlichen und in ihrem selbst komponierten Werk niedergeschlagen.

Was ich außerdem persönlich sehr interessant fand, war zu sehen, dass die Tonleiter-Thematik, welche in Video 1 eingeführt wurde, zumindest zu kleinen Teilen in Video 3 wiederzufinden ist (z. B. 01:13) und ebenfalls auf höherem Spielniveau realisiert wurde. Auch das charakteristische vibrato wurde von der Spielerin erneut aufgegriffen und gekonnt eingesetzt. In Video 3 kann man es sogar in der linken Hand finden und diente hier, ähnlich wie beim Video 1, als ein durchaus bewusst gewähltes und geschmackvoll eingesetztes Mittel des musikalischen Ausdrucks.

Alles in allem kann im Vergleich des ersten und dritten Videos miteinander auf Seiten der Spielerin ein bemerkenswerter Fortschritt im Musizieren mit der Musikapp festgestellt werden. Es wäre weiterhin interessant zu untersuchen, bis zu welchem Grad die Diskrepanz zwischen den Leistungen in den zwei Videos der leicht unterschiedlichen Musiziervorgabe (Eigenkomposition / bekannte Jazz-Melodie) geschuldet war. Insgesamt finde ich das Video 3 wirklich sehr gelungen!


Videoanalyse 3

Anna

Im Mittelpunkt der folgenden Analyse steht das Musikvideo meiner Kommilitonin. Die leitenden Fragen dabei sind: Welche unterschiedlichen Qualitäten an Spielbewegungen lassen sich beim Musizieren mit Apps durch Beobachtung identifizieren? Was zeichnet sie aus? Welche Vergleiche lassen sich in Bezug auf die Spielbewegungen zum Musizieren mit einem traditionellen Instrument ziehen?

Zum Zwecke des digitalen Musizierens verwendet die Spielerin die App Music Pad. Die Gesamtdauer ihres musikalischen Stückes beträgt in etwa 36 Sekunden. Es wird eine leicht erkennbare Melodie – Autumn Leaves – vorgetragen, die in diesem Fall aus acht Takten besteht. In meiner Analyse möchte ich genauer auf die Frage eingehen, wie die Spielerin ihre Musik mit Hilfe der App zur Geltung bringt beziehungsweise wie sie ihren Körper beim Musizieren einsetzt.

Bereits beim ersten schnellen Sichten des Videos wird deutlich, dass die Handbewegungen der Spielerin überwiegend statisch sind. Insgesamt wirkt die Performance eher wenig eingeübt und etwas unsicher, sodass der Eindruck entsteht, dass das Musizieren mit Apps eine relativ neue Erfahrung für die Spielerin ist. Man kann eine natürliche, aber irgendwie auch etwas verspannte Handhaltung beobachten. Dabei befinden sich die Finger dicht über der Spieloberfläche und überdecken diese in ihrer Länge und Breite. Die Positionierung der Hände ähnelt jener der üblichen Bedienung eines (liegenden) elektronischen Geräts, zudem liegen die Hände in einer gekrümmten Weise mit ein wenig ausgestreckten Fingern. So wirkt die Haltung wie beim Klavierspielen bei Anfänger*innen.

Zum Musizieren benutzt die Spielerin nicht die ganze Handfläche, sondern ausschließlich die beiden Zeigefinger. Dabei wird der Bildschirm aufgeteilt: Der linke Zeigefinger übernimmt also die linke Seite der Spieloberfläche und der rechte Zeigefinger spielt die Töne auf der rechten Seite des Geräts. Ich vermute, dass die Spielerin dadurch eine bessere Übersicht über den engen Bildschirm bekommt und ihre Bewegungen noch eher nachvollziehen und die Töne präziser treffen kann, als wenn sie mit allen fünf beziehungsweise zehn Fingern auf einmal spielen würde.

Es wird von Anfang an sehr vorsichtig gespielt. Die Hand bewegt sich dabei kaum und die Töne sind auf der Spieloberfläche in den ersten paar Takten nur minimal voneinander distanziert. Außerdem erscheinen die einzelnen Bewegungen als sehr konzentriert. Letzteres basiert auf der Beobachtung der deutlich angespannten Fingerposition,  insbesondere der Anspannung in den kleinen Fingern. Teilweise bekommt man das Gefühl, dass die Spielerin mit einer erhöhten Intensität in den Bildschirm „hineindrückt”. Jedoch scheint das „Eindrücken” keine bestimmte Funktion an der Spieloberfläche zu erfüllen; es verändert weder die Tonhöhe noch die Lautstärke des erklingenden Tons. Vermutlich ist es in diesem Fall als ein unterbewusstes Merkmal der körperlichen Wahrnehmung zu betrachten: Die Spielerin konzentriert sich verstärkt darauf, die Töne genau zu treffen und die Melodie möglichst „sauber” zu spielen. Es ist anzunehmen, dass sich die gesamte Kraft und Konzentration in diesen zwei Fingern bündelt und dadurch ein erhöhter Druck auf die Tastatur entsteht.

Im Zusammenhang damit, dass es außerdem eine ihrer ersten Auseinandersetzungen mit der Musikapp ist, erscheint nachvollziehbar, dass die Spielerin sich unsicher fühlt, was man an den Spielbewegungen deutlich ansieht. Zudem scheint der Ton irgendwie verzögert zu erklingen und später als erwünscht zu erklingen, was zusätzlich zur Verunsicherung beiträgt. Die Spielerin scheint gerade erst  herauszufinden, auf welche Art und Weise die Töne auf der Spieloberfläche entstehen und mit welcher Geschwindigkeit oder auf welcher Tonhöhe sie erklingen. So lässt sich beispielsweise in der fünfzehnten Sekunde beobachten, dass ein Finger wegrutscht (außer es war als ein Element der Verzierung vorgesehen). Die Spielerin kann sich in diesem Fall zwar aus einem unangenehmen Moment elegant befreien, doch scheint die Ursache für den kleinen Ausrutscher die Spannung in der Hand zu sein. Auch einige Sekunden darauf scheint sich die Spielerin etwas verunsichert zu fühlen, was man an ihrer suchenden Bewegung in der rechten Hand erkennen kann: Nun soll ein etwas höherer, also weiter weg liegender Ton getroffen werden. Sobald die Spielerin in einer springenden Bewegung den richtigen Ton trifft, drückt sie etwas länger und stärker darauf – womöglich um sich zu vergewissern, dass das Ende der ersten Sequenz erreicht wird. Die zweite Sequenz erklingt etwas schneller und entspannter, was an der Wiederholung der gleichen Melodie liegen könnte. Auch die Schlusskadenz gelingt sehr präzise.

Sobald der letzte Ton seine Geltung findet, zieht die Spielerin die beiden Hände von der Spieloberfläche weg. Genauer betrachtet legt sie die Hände an die Seiten, sodass der gesamte Bildschirm nochmal zu sehen ist: In der Spiegelung des Displays sieht man, wie sich die Spielerin aufrichtet, um die Videoaufnahme zu beenden. Daraus kann man schließen, dass sie während der Aufnahme wahrscheinlich etwas gekrümmt über dem Display gesessen hat und aus dieser unbequemen Körperposition während des „Musizierens“ heraus die oben beschriebenen, ein wenig gehemmten Spielbewegungen resultierten.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass sich die Spielerin in diesem Video wohl erstmalig musikalisch mit der App auseinandersetzt und ihre ersten Musiziererfahrungen mit einem digitalen Instrument gesammelt hat.

Videovergleich

Zum Vergleich in Bezug auf musikalische Qualitäten wurde nach einem weiteren, frei abrufbaren Video auf YouTube recherchiert. Im Großen und Ganzen wird im letztlich ausgewählten Video auf eine ähnliche Art und Weise „musiziert“. In einigen Abschnitten dieses Videos kann der im ersten Teil der Analyse gezogene Vergleich mit einem sich auf Anfängerniveau befindenden Klavierspiel nachvollzogen werden; insbesondere von Minute 1:57 bis 2:56 lassen sich Parallelen zum ersten analysierten Video feststellen. Eine grundlegende Abweichung liegt jedoch in der Videoperspektive, denn diese Aufnahme erfolgt nicht von oben, sondern ist als eine frontale Halbkörper-Aufnahme am Musikinstrument gestaltet.

Die Parallelen werden an mehreren Merkmalen der qualitativen Spielbewegungen deutlich: an der Positionierung der Finger und der gesamten Handformung, dem ausdifferenzierten Fingereinsatz sowie der ausgeprägten Spannung in der Hand. Außerdem kann man eine vorsichtige und konzentrierte Spielweise beobachten, die in diesem Videoausschnitt unter anderem in der Mimik der jungen Spielerin festzustellen ist. In einem bestimmten Moment (Minute 2:26) passiert ein ähnlicher, minimaler „Fehlgriff”, wie wir es bereits im ersten Video beobachtet haben. Die Spielerin befindet sich im Prozess des Erlernens des Instruments und konzentriert sich dabei vorrangig auf das Treffen der richtigen Töne. Sobald sie einen falschen Klang wahrnimmt, schüttelt sie den Kopf und passt schnell die Position ihrer Finger zugunsten eines richtigen Intervalls an. Eine klang- und notenorientierte, „mechanische” und verunsicherte Spielweise, die das erste Video charakterisiert hat, lässt sich ebenso in diesem Klavierspiel finden. Daher sind sowohl der Umgang mit dem Instrument beziehungsweise der App, als auch die Qualitäten der Spielbewegungen und das körperliche Verhalten der Spielerinnen in vielen Aspekten einander sehr ähnlich.

Wenn man sich nach einer idealen Spielweise mit Music Pad fragt, fallen mir folgende Aspekte ein. Dadurch, dass sich die „Saiten“ nebeneinander befinden, die Töne also immer gleich positioniert sind und nicht als Spielblöcke aneinander gereiht werden, vermute ich, dass man ebenso gut alle Finger beim Spielen einsetzen kann. Wenn die horizontalen Linien in der Tat unter anderem die verschiedenen Oktaven kennzeichnen, wirft das die Frage auf, ob die Spielfläche am Handy für Music Pad nicht einfach zu klein ist, da man sich dadurch leicht verspielen kann. Eventuell lässt sich in den Einstellungen die Anzahl der sichtbaren Oktaven sowie die Saitenanzahl im Einstellungsmenü anpassen, sodass man zwar weniger Saiten und/oder Oktaven auf der Spieloberfläche zur Verfügung hat, dadurch aber mehr Platz und somit mehr Freiraum für lockere Spielbewegungen bekommt. Wenn man die ganze Hand beim Spielen einsetzen würde, oder allein die Stimmung und das Tempo der Melodie leicht lässiger (beziehungsweise Jazz-ähnlicher) umgestalten würde, könnte sich nach meinem Empfinden auch der gesamte Klang des Liedes verändern. Durch zierliche und lockere Handbewegungen, aber auch durch gewisse Sicherheit beim Spielen, die nur durch Üben erreicht wird, kann meiner Meinung nach das Gefühl des „echten” Musizierens besser erreicht werden.

Lernfortschritt

Erstaunlicherweise kann man, trotz der kurzen Zeitspanne dazwischen, zwischen dem ersten und dritten Video bereits einige Fortschritte im Sinne der oben vorgeschlagenen „idealen” Spielweise nachvollziehen: Diesmal bringt die Spielerin ihre ganze rechte Hand zum Einsatz, wobei die Melodie mit verschiedenen Fingern gespielt wird. Die linke Hand spielt nur noch eine unterstützende Rolle und befindet sich an der Bildschirmseite, um das Handy vom Wegrutschen zu bewahren.

Die Handbewegungen der musizierenden Hand sehen wesentlich entspannter aus; es wird ein Gefühl der technischen Sicherheit vermittelt. Man kann vermuten, dass die Spielerin diese Melodie inzwischen eingeübt hat und sich nun mehr auf Klang und Ausdruck, und zugleich weniger auf Notation und Tonerzeugung fokussiert. Nicht zuletzt wird durch solche lockeren Bewegungen auch der Melodieverlauf beeinflusst. Die Melodie erklingt im Vergleich zu der ersten Aufzeichnung sehr flüssig. Außerdem entstehen während des Spiels neue rhythmische Verzierungen, die ungezwungen und womöglich improvisiert wirken, jedoch durchaus passend und gewollt erscheinen. Die optimierte Spielweise weist in der Tat Ähnlichkeiten zu einer Spielweise am Klavier und/oder am Akkordeon auf, zeigt aber Parallelen zur Spielweise an einem Saiteninstrument wie beispielsweise der Gitarre. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Version (eventuell mit einer melodischen Verlängerung) bestenfalls auch als eine kleine echte Aufführung aufgezeichnet werden kann.


Videoanalyse 4

Katharina

Nach und nach finden Apps auf Tablets oder Smartphones, die zum Musizieren verwendet werden, mehr Berücksichtigung in der Musikforschung. Dieser Beitrag fokussiert die Spielbewegungen eines Musizierenden (Anfängerniveau) mit der App „Muselead” für Android-Geräte.

Zum Vergleich wird eine Aufnahme einer Musikerin (Fortgeschrittenenniveau), die Klarinette spielt, herangezogen, um die Qualität der Spielbewegungen mit der App in Bezug zu bereits bekannten Spielbewegungen an klassischen Instrumenten zu untersuchen. Abschließend wird über die Umsetzung einer eventuell „idealen” Spielweise nachgedacht sowie anhand eines weiteren Videos des App-Spielenden die Spielentwicklung nach zwei Wochen betrachtet.

Im ersten Video steht der Spielende so vor der Kamera, dass sein Körper frontal zu dieser ausgerichtet ist. Zu sehen ist zwar sein Oberkörper, jedoch sieht man beim Spielen die spielende linke Hand nicht. Die Spielende im zweiten Video bietet uns dagegen in idealer Weise im Video zwei Perspektiven gleichzeitig an: In der einen Perspektive ist ihr gesamter Körper und viel vom Raum, in dem sie steht, zu sehen, sodass man ihr auch komplett folgen kann, wenn sie ihre Position leicht verändert. In der zweiten Perspektive ist eine Nahaufnahme des Mittelstücks der Klarinette zu sehen, sodass man einen guten Blick auf die Griffweise der Spielenden hat. Wie im ersten Video steht im zweiten Video die Spielende ebenso, ihr Körper ist jedoch nicht direkt zur Kamera ausgerichtet, sondern steht leicht seitlich zu ihr.

Bei beiden Spielenden ist eine Art konzertante Haltung zu erkennen: Sie stehen aufrecht und begeben sich in Spielposition. Vor dem ersten Ton atmen beide noch einmal betont ein, was unter Musikern häufig ein Signal des gemeinsamen Beginnens ist und was auf eine gewisse Musiziervorerfahrung hinweist. Dazu hebt der Spielende noch zusätzlich seine linke Spielhand und die Spielende aus dem zweiten Video leicht ihre Ellenbogen an. Während des Spielens ist bei beiden zu erkennen, dass für das Erzeugen der Töne ein gewisser Druck der Finger vonnöten ist. Beim zweiten Video ist das an den Fingern sichtbar: Die Spielende drückt diese fest auf die Grifflöcher, um sie komplett verschließen zu können. Im ersten Video sind die Finger zwar nicht zu sehen, aber trotzdem ist erkennbar, dass der Spielende wohl auch einen gewissen Druck bei jedem Ton, den er spielt, auf das Tablet ausübt. Die rechte Hand weicht dabei immer samt Tablet ein Stück zurück (also vom Spielenden weg) – so muss die linke Hand, die gerade den Ton spielt, immer wieder dagegen halten, wobei man in beiden Armen und in den Schultern dann eine gewisse Anspannung erkennen kann. Diese wird vermutlich auch dadurch verstärkt, dass der Spielende das Tablet relativ hoch hält.

Die Bewegungen der beiden Spielenden gestalten sich im Detail unterschiedlich. Im ersten Video schwingt/bewegt sich meist der gesamte Oberkörper passend zur Musik mit. Zusätzlich hebt der Spielende seine Augenbrauen, wenn er einen längeren oder höheren Ton spielt. Die Spielende im zweiten Video hingegen schließt die Augen und scheint ihre Töne mehr zu „genießen”. Sie ist insgesamt auch etwas lockerer in ihren Bewegungen. Sie steht nicht so fixiert, sondern vollzieht immer wieder mal einen kleinen Schritt vor oder zurück. Dazu ist sie dynamischer im Oberkörper und bewegt hin und wieder auch gesondert die Arme – vor allem den linken Arm.

Zwischen den Phrasen der jeweiligen Stücke setzen beide Spielenden immer wieder neu an, musikalisch, wie sie das bereits zu Beginn getan haben. Am Ende des Stückes verharren beide Spielenden länger in der Spielposition: Im ersten Video lässt der Spielende den Finger auf dem Tablet, obwohl der Ton schon nicht mehr erklingt, und die Spielende des zweiten Videos hält den Ton im Vergleich deutlich länger aus, bevor dieser dann mit der Begleitung endet.

Nach diesem Vergleich stellt sich nun die Frage, wie ein ideales Musizieren mit der App aussehen könnte. Tatsächlich kann man hier die Spielweise mit Klarinetten als Grundlage heranziehen – auch, weil diese eingeprobte Art und Weise bereits eine längere Entwicklung hinter sich hat. Dabei weisen beide Spielende einerseits einige Gemeinsamkeiten auf. Haltung und Spielposition sind in beiden Videos ähnlich; sie stehen beide und halten ihr jeweiliges Instrument auf ähnlicher Höhe. Sie zeigen beide für Musiker typische Verhalten, wie das bewusste Einatmen vor dem ersten Ton. Andererseits gab es auch deutliche Unterschiede zwischen den Spielbewegungen bei der Körperhaltung bzw. der Körperspannung. Bei der Spielenden aus dem zweiten Video wirkt der Oberkörper entspannt. Hervorgehobene Töne genießt sie, indem sie die Augen schließt. Dagegen zeigt der Spielende aus dem ersten Video deutlich mehr Anstrengung: Bei besonderen Töne zieht er eher die Augenbrauen nach oben und seine Schultern sind angespannt.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass der Spielende aus dem ersten Video bereits eine durchaus musikalische Spielweise mit der App vollbringt. Durch Übung und Erfahrung kann er sich sicherlich noch verbessern. Ebenfalls könnte er sich dadurch noch mehr beim Spielen entspannen, was sich sicherlich auch positiv auf die Beweglichkeit seiner Finger und den Klang des Gespielten auswirken könnte

Lernfortschritt

Betrachtet man nun nach dieser Analyse ein dritte Video, das der Spielende aus dem ersten Video nach drei Wochen des Übens aufgenommen hat, so kann man feststellen, dass sich das Spiel weiterentwickelt hat.

Zunächst startet das Video ähnlich: Der Spielende startet die Kameraaufnahme und begibt sich in Spielposition. Vor dem ersten Ton hebt er wieder die linke Hand, atmet dazu diesmal aber nicht hörbar ein. Dieses Anheben der Spielhand erscheint diesmal deutlich eleganter, d.h. die Bewegung ist flüssiger und die Muskulatur im Unterarm erscheint lockerer. Diese Lockerheit verliert sich dann etwas im ersten Basslauf. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die Töne auf der Spieloberfläche der App weiter auseinander zu liegen scheinen, sodass die Hand beim Spielen mehr gespreizt werden muss. Zwar erklingen die aneinander gereihten Töne noch weitestgehend mühelos und gleichmäßig, doch ist optisch bereits zu bemerken, dass dem Spielenden diese Sequenz nicht besonders leicht von der Hand geht. Auch blicht der Spielende nahezu die gesamte Phrase über hoch konzentriert auf das Tablet. Die Bewegungen werden erst wieder flüssiger, als der Refrain beginnt. Die hier länger ausgehaltenen Töne erlauben dem Spielenden auch einen Blick in die Kamera. Generell erscheinen in dieser Phrase die Bewegungen eleganter und ausgestalteter  zu sein. So hebt er beispielsweise in der 13. Sekunde mit einer größeren Bewegung die Hand, als es technisch vermutlich notwendig gewesen wäre. Es scheint, als ob der Spielende sich hier bereits eine Bewegung traut, die der musikalischen Linie angepasst ist und nicht nur der Tonerzeugung dient. Diese Beweglichkeit verliert sich dann in der zweiten Melodiesequenz (ab der 29. Sekunde). Die Töne scheinen auf der Grifffläche der App wieder weiter auseinander zu liegen, wodurch immer wieder kurze Pausen zwischen den Tönen entstehen. Der Unterarm sieht deutlich angespannter aus und das Tablet wackelt mehr, was darauf schließen lässt, dass der Spielende mehr Kraft beim Drücken auf die Oberfläche des Tablets verwendet. Der abschließende Schlusston wird, wie im ersten Video, besonders lang ausgehalten. Jedoch verweilt der Spielende dann nicht noch in der Schlussposition, sondern beendet die Aufnahme direkt nach dem letzten Ton.

Das gesamte Video betrachtend kann man feststellen, dass der Spielende sich in dieser dritten Aufnahme bereits deutlich mehr zugetraut hat als im ersten Video. Neben einer ersten Sequenz hat er einen Basslauf und eine zweite Melodie gespielt, wobei der erste Part deutlich leichter in der Hand zu liegen als die beiden anderen Sequenzen. Im ersten Refrain kann man bereits beobachten, wie die Muskulatur in Schultern und Armen beim Spielen merklich entspannt. Dadurch sind flüssigere Bewegungen und musikalisches Ausgestalten der Melodie möglich geworden. Der Basslauf und die zweite Melodiesequenz scheinen noch wenig eingeübt zu sein. Hier ist in der Spielbewegung eine ähnliche Anspannung und Bewegungseinschränkung zu sehen wie im ersten Video.

So lässt sich abschließend sagen, dass bereits eine kurze Probezeit von drei Wochen eine Entwicklung bringen kann. Jedoch empfiehlt es sich, die musikalischen Parameter (Geschwindigkeit, Stimmführung, u. ä. ) nicht stark zu verändern. Variieren diese Parameter zu stark zwischen den einzelnen Übungssequenzen, werden die Spielbewegungen an der App, die ja ohnehin noch neu sind, nicht ausreichend geübt und verbessern sich somit auch nicht so schnell, wie man vielleicht erwarten würde. Diesen Unterschied zwischen bereits geübten Bewegungen und Bewegungen, die bisher eher weniger verinnerlicht wurden, sieht man an diesem dritten Video sehr gut. Bereits im ersten Video hat der Spielende eine Melodie gespielt, die wiederum der ersten Melodie im dritten Video sehr ähnelt. Die bereits bekannten Bewegungsabläufe beim Spielen erlauben es dem Spielenden also, bereits nach drei Wochen auch eine musikalische Ausgestaltung in die Spielbewegungen einfließen zu lassen.


Videoanalyse 5

Timo

Das vorliegende Video zeigt Handbewegungen auf einem Smartphone, die aufgrund der Größe der Bedienoberfläche sich auf einen relativ kleinen Rahmen beschränken. Die Finger drücken und wischen über den Bildschirm des Mobiltelefons, um eine Musik-App zu bedienen.

Dabei werden Sensoren gesteuert, die dem Programm vermitteln, dass pro gespieltem Ton die – dem in der App ausgewählten Instrument entsprechend – Klänge in Form von Audiodateien hervorgebracht werden sollen. Durch Wisch- und  Schiebebewegungen ist es dem*der Spielenden auch möglich, den Ton zu sliden; die Tonhöhe variiert also, ohne, dass das Instrument zu klingen aufhört.

Das Mobiltelefon wird immer mit einer Hand festgehalten, während die andere Hand zum Drücken auf dem Display genutzt wird. Der*die Spielende setzt dazu drei Finger ein, die eine eigene, unübliche Grifftechnik und Handhaltung gebrauchen. Es ist ganz natürlich, sich neue Bewegungsabläufe und Griffe auszudenken, wenn man mit neuartigen oder ungewohnten Bedienoberflächen arbeitet. Diese Bewegungen und Grifftechniken sind also zum Teil technisch notwendig, haben spiegelt darüber hinaus auch einen ästhetischen Ansatz der*des Spielenden wider. So entsteht durch solche Bewegungen eine Performance, die das Gefühl vermittelt, dass der*die Spielende Spaß beim Musizieren hat. Nicht immer scheinen sich alle Spielbewegungen bei dem digitalen Instrument auch auf den Klang auszuwirken.

Zu Beginn des Videos merkt man den Bewegungen kaum an, ob der*die Spielende in der Musik aufgeht, sie fühlt, in ihr drin ist oder sie performen oder präsentieren möchte. Dafür geschieht zu wenig; höchstens die Slides könnte man als bewussten Versuch interpretieren, dem Musikstück etwas Leben verleihen zu wollen. Die Bewegungen und das Drücken oder Tippen der „Tasten” geschehen sehr vorsichtig, sensibel und bedacht. Man merkt daran, dass mit der App auf Anfängerniveau musiziert wird. „Anfänger“ an dieser Stelle nicht in Bezug auf das Verständnis der Noten, Rhythmen und deren Folgen, sondern im Zusammenhang des Spiels und der Erfahrung mit der App als ein Instrument. Dadurch ist eine gewisse Anspannung zu spüren. Dies ist daran erkennbar, dass das Smartphone das ganze Stück über mit der linken Hand relativ steif festgehalten wird und die Finger, mit denen gespielt wird, ebenso angespannt, fast schon unentspannt wirken. Es werden hauptsächlich der Ring-, Mittel- und Zeigefinger eingesetzt. Darüber hinaus wird für die hohen Töne bei einer Variation in der Mitte des Stücks der kleine Finger benutzt. Die Finger bleiben das Musikstück über fast durchgehend steif und unentspannt; nur  gegen Ende des Stücks, wenn sich die Melodie auflöst, scheint die Spielhand ein wenig lockerer zu werden. Dort werden auch noch einmal länger ausgehaltene Töne gespielt, die mit Slides verbunden und nur mit dem Ringfinger gespielt werden. Beim Halten des letzten Tons wackelt ebendieser Finger. Das hat zwar keinen Effekt auf den Klang, aber man merkt, dass der*die Spielende sich nun mehr mit der Musik verbunden zu fühlen scheint. Die Bewegung ist vermutlich aus dem Körper heraus, quasi unbewusst und demnach auf eine authentische Art und Weise entstanden.

Lernfortschritt

In dem zweiten Video ist eine klare Entwicklung zu sehen: Im Hintergrund läuft eine Gitarrenmelodie und das Instrument innerhalb der App wurde offensichtlich gewechselt. Auch das Musizieren kann deutlich mehr Lockerheit aufweisen; es wird virtuoser gespielt als vorher. Der*Die Spielende ist von Beginn an in die Musik vertieft. Slides werden häufiger eingesetzt und es werden oft mehr als die drei mittleren Finger der Hand zum Spielen benutzt. Die Bewegungen haben an mehr Dynamik gewonnen, allerdings wird weiterhin nur eine Hand gebraucht.

Auch im dritten Video wird das Handy immer mit der linken Hand festgehalten und hauptsächlich mit drei Fingern der rechten Hand gespielt. Diesmal ist ein Klavier als Backing-Track zu hören. Auch hier sind wieder lockere Bewegungen auf den Tasten und vor allem Slides zu beobachten.

Vergleich mit einem anderen Instrument

Ein Keyboard wäre wohl das Instrument, welches man  am ehesten mit dem Spiel und Klang der verwendeten App vergleichen könnte. Die Haltung der Finger ist ähnlich gekrümmt und gespannt, und die Klänge der App weisen ebenso auf ein solches Instrument hin. Die vorsichtigen und bedachten, teilweise unsicheren Bewegungen sind beiden Videos zu entnehmen.

Vergleichsvideo 1:

In Bezug auf die Fingerhaltung sowie den Bewegungen im ersten Vergleichsvideo kann man durchaus eine Ähnlichkeit zu den App-Videos erkennen. Zum Beispiel ist das Niveau des*der Keyboard-Spielenden am eigenen Instrument vergleichbar mit dem an der App in den drei vorherigen Videos: Soweit man das von den Bewegungen und der Haltung her deuten kann, wird in ähnlicher Art und Weise an die musikalische Phrase herangegangen. In den Videos werden die „Tasten” von oben und mit spitzen Fingern gespielt. Ein essentieller Unterschied besteht darin, dass beim Keyboardspiel beide Hände benutzt werden. Auf einem Smartphone ist zugegebenermaßen auch wenig Platz, um zwei Hände adäquat spielen lassen zu können.

Ein weiteres, eher ungewöhnliches Instrument, welches man zum Vergleich hinzuziehen könnte, wäre das Kanun. Hierbei handelt es sich um eine Art liegende Harfe, bei der die Fingerbewegungen eine Ähnlichkeit zu den Bewegungen beim Spielen mit der App aufweisen.

Vergleichsvideo 2:

Auch wenn das Niveau ein ganz anderes ist, sind Ähnlichkeiten vor allem darin aufgefallen, dass das Smartphone mit der App in ähnlicher Art und Weise vor dem*der Spielenden auf einem Tisch liegt. Dadurch entsteht ein ähnlicher Stil des Spiels in Bezug auf die Positionierung des Instruments. Diese wirkt sich generell immer auf das Spiel und bei akustischen Instrumenten auch auf den Klang aus und sollte somit in die Betrachtung genommen werden. Auch das Tippen der Finger weist eine gewisse Analogie zum Zupfen der Saiten vom Kanun auf. Die Klänge werden ähnlich gezielt mit den Fingerspitzen angeregt.

Ideales Spiel

Ein ideales Spiel mit der App würde vielleicht erreicht, wenn man die App so bedient wie das Kanun in dem Vergleichsvideo. Erst dann könnte man von einem tatsächlichen, auch körperlichen Spiel mit einem Instrument sprechen, welches dann auch als ein solches bezeichnet werden kann. Allerdings steht das noch offen – die tatsächlichen Möglichkeiten und Formen des idealen Spiels mit einer App sind bisher nur vage vermutet und greifbar.
Das Musizieren mit Musik-Apps ist relativ neu und befindet sich noch in der Entwicklung, also auf der Suche – nach geübten Spieler*innen, die den Instrumenten-Apps anhand ihres persönlich gefärbten Spiels und durch ihre Ideen sowie der eventuell auch unkonventionellen Nutzung eine andere Qualität verleihen und sie somit zum Leben erwecken können.


Videoanalyse 6


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