app2music – Ausbau einer Community
Wie kann man ein Projekt verbessern, das sich als erfolgreich erwiesen hat? Wir Mitarbeiter der Forschungsstelle Appmusik haben gemeinsam mit dem Kooperationspartner app2music – Appmusik-AGs an Berliner Schulen eine neue Phase der Zusammenarbeit eingeleitet. Dazu zählt nicht nur, dass nach den Winterferien an den Schulen die AGs fortgeführt werden können. Auch die Strukturen innerhalb des Teams, die die Bildungangebote an den Schulen durchführen, werden im Sinne einer Community of Practice weiterentwickelt und die Mitgliederanzahl erweitert.
Mit dem jüngst vom Berliner Projektfonds für Kulturelle Bildung bewilligten Förderantrag wurde eine Basis geschaffen, um vier weitere Appmusik-AGs zu finanzieren und somit an mindestens sieben Schulen vertreten zu sein. Verstärkt wird das app2music-Team von einigen Berliner Musiker_innen, die sich für neue Möglichkeiten des Musikmachens mit Apps interessieren und ihre eigene künstlerische Expertise in die Gestaltung von kulturellen Bildungsangeboten im Zusammenhang mit mobilen Digitalgeräten einbringen wollen.
Treffen mit unterschiedlichen Musikerpersönlichkeiten
Nach einer ersten Konzeptionsphase veröffentlichten wir im Januar 2015 eine Ausschreibung auf verschiedenen Online-Plattformen, woraufhin sich in kürzester Zeit fast 30 Interessierte meldeten. Wir luden alle zum Gespräch ein, um sie besser kennenzulernen und um mit ihnen Vorstellungen zur Zusammenarbeit auszutauschen.
An vier Tagen kamen zu den vorbereitenden app2music-Treffen Musiker_innen unterschiedlichster Genres: Darunter Hip-Hoper_innen, Tango-, Rock- oder Jazz-Musik_innen, aber auch Produzent_innen. Insgesamt also eine bunte Mischung aus vielen interessanten Künstlerpersönlichkeiten. In den Unterhaltungen kam heraus, dass einige der Berufsmusiker bereits Erfahrungen mit musikvermittelnden Tätigkeiten am Instrument oder mit Kindern Musikprojekte durchgeführt hatten.
Thema des Treffens war auch die Frage, welche Ressourcen jede/r Musiker_in ins Projekt einfließen lassen kann und worin sie oder er Unterstützung erhofft. Einige hatten bereits Erfahrungen mit Musikapps innerhalb der eigenen Musikpraxis. So produziert eine Künstlerin zum Beispiel alle Demosongs auf ihrem iPhone. Die meisten hatten einschlägige Erfahrung in der Nutzung von Computerprogrammen für Musikproduktionen. Und viele waren es als Multiinstrumentalist_innen gewohnt, sich in andere Spielweisen und Instrumententypen einzuarbeiten.
Dahingegen hatte jedoch niemand bisher pädagogische Projekte durchgeführt, in denen sie Musikapps verwendet hatten. Einen Austausch erhofften sie sich daher vorallem bei Fragen um die Auswahl von Musikapps für bestimmte musikalische Entscheidungen oder für die individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen.
Mitarbeiten und Mitmachen bei app2music
Neben Informationen zum Ablauf der Appmusik-AGs an den Schulen und der Arbeit am Blog stellten wir ausführlich die veränderten Verhältnisse vor. Ging es innerhalb des vergangenen Jahres noch vorrangig um die Etablierung des Projekts an den Schulen und Gewinnung von Kooperationspartner, so tritt in dieser Phase zusätzlich der intensive Ausbau des Netzwerks hinzu.
In den Gesprächen thematisierten wir die drei zentralen Säulen des app2music-Konzepts:
- Initiierung von Musik-AGs an verschiedenen Berliner Schulen
- Dokumentation von Erfahrungen auf einem begleitenden Blog
- Die Entwicklung einer Community of Practice
Zentrales Anliegen der vorbereitenden Treffen war, dass jedes Mitglied in Zukunft seinen eigenen Raum findet. Die Teilnahme bei app2music soll dabei nicht den Charakter einer reinen Angestelltenbeziehung haben. Viel eher schwebt uns der Ausbau zu einer Community of Practice vor. Anders formuliert geht es bei app2music darum, im Kontext einer Gemeinschaft diverse Musikprojekte zu entwickeln und durchzuführen, nicht um die Schaffung von Anstellungsverhältnissen. Die Finanzierung solcher Projekte ist dabei als Bestandteil der gemeinsamen Arbeit, aber nicht als Grundlage der Beziehung unter den Mitgliedern von app2music zu sehen.
Schon während der Antragstellung für die neue Projektphase von app2music wurde der Aspekt des Community Buildings eingeplant. Zwar sind die finanziellen Ressourcen durch die bewilligte Fördersumme begrenzt, unabhängig von einer festen Anstellung können sich die Interessierten bei app2musik untereinander über anderweitig finanzierte Projekte austauschen und bei der Durchführung unterstützen lassen. In Zukunft ist angedacht, dass Projektanträge selbstorganisiert von app2music-Mitgliedern geschrieben werden und dabei Unterstützung in der Community bekommen, wodurch jede/r seine/ ihre Rolle selbst mitbestimmen kann.
Lernen in einer Community of Practice?
Das bis hierhin geschilderte ist Teil unseres Bestrebens, app2music als Lerngemeinschaft zu etablieren, in dem Künstler_innen Erfahrungen aus der musikalischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen untereinander austauschen. Herausbilden soll sich in der Folge ein Profil, das sich aus der musikvermittelnden Praxis der Mitglieder speist (Anhäufung von Wissen), dadurch Synergieeffekte anregt (Umgang mit Komplexität) und innerhalb gemeinsamer Interaktion stetig weiterentwickelt wird (Lernen).
Den theoretischen Rahmen für dieses Vorgehen bietet das bereits vorgestellte Lernen innerhalb von Praxisgemeinschaften. Gemeint wird damit, dass Lernen nicht lehrgangsbasiert geschieht, sondern durch Partizipation innerhalb einer Praxisgemeinschaft. Lernen ereignet sich nicht durch, sondern ist Mitgliedsein in einer CoP. Errinnert sei: Der Lernweg des Novizen vollzieht sich von der Peripherie hin zum Zentrum der Community of Practice. Darin liegt auch die Begründung, dass jede/r interessierte Musiker_in bei app2music mitmachen kann.
Wie soll das erreicht werden?
Wenn es nicht zentral um den Aufbau faktenbezogenen Wissens zum Beispiel in Form einer Fortbildung, sondern um das Erarbeiten von Praxiswissen geht, so müssen Wege gefunden werden, damit sich die teilnehmenden Musiker_innen im Sinne des situierten Lernens regelmäßig austauschen, um die gemeinsame Praxis auf- und auszubauen.
Dazu haben wir eine gesonderte facebook-Gruppe gegründet, in der sich alle Mitglieder untereinander kennenlernen und austauschen können. Wichtig sind uns auch monatliche Treffen, in denen gemeinsam mit Apps musiziert wird, Probleme und Lösungstrategien z.B. innerhalb der AGs oder mit einzelnen Apps diskutiert werden und in denen die Mitglieder zusammenwachsen können.
Anmerkung: Selbstverständlich ist es uns bewusst, dass es sich hierbei stärker um eine formalisierte CoP handelt. Allerdings ist erstens der Ausgangspunkt ein gefördertes Projekt und nicht etwa eine rein informelle Gruppe. Zweitens sind CoPs nicht auf informelle Settings beschränkt, sondern können ebenso als Praxisgemeinschaften in formalen Kontexten wie Organisationen auftreten. Zboralski beschreibt beispielsweise CoPs als “sich selbstorganisierende Mitarbeiter-Netzwerke, die sich organisch aufgrund der Bedürfnisse der Organisationsmitglieder entwickeln und/oder gezielt von der Unternehmensführung initiiert und unterstützt werden” (vgl. Zboralski 2007).
Ziele dieser neuen Phase von app2music
Vorrangiges Ziel für die Initiierung der neuen Phase von app2music ist es, die Entwicklung der neuartigen AG-Angebote nachhaltig zu gestalten. Indem also mehr Menschen mit unterschiedlichen musikalischen Erfahrungen und Motivationen zusammen kommen, sollen die Musikangebote an den Schulen nicht nur langfristig an Qualität gewinnen, sondern auch innovative Entwicklung schneller umgesetzt werden.
Ferner sollen die vielen alleinstehenden Projekte mit Musikapps miteinander verbunden werden. Damit versprechen wir uns eine Steigerung der Effektivität durch gemeinsame Hilfe und Synergien durch die beständige Erweiterung eines Wissensnetzes.
Aus der Perspektive der Forschungsstelle Appmusik (FAM) ist von Interesse, zu beobachten, wie sich Formen musikalischer Praxis mit Apps im Rahmen der Appmusik-AGs verwirklichen. Weiterhin verbindet sich mit der Kooperation die Gewinnung wichtiger Erkenntnisse für die Entwicklung einer Weiterbildung mit dem Namen Zertifikatskurs tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung, indem wir von Vertreter_innen der potentiellen Zielgruppe Anregungen, Problemstellungen und Vorstellungen erhalten, mit denen sich die Entwicklungsarbeit am Curriculum um spezifische Praxiserfahrungen nutzbringend ergänzen lässt.
Anmerkung: Warum gerade Berufsmusiker_innen?
Dass sich die Ausschreibung spezifisch an Berufsmusiker_innen und nicht etwa Musikpädagog_innen richtete, hat zwei Gründe.
- Erstens werden geförderte kulturelle Bildungsprojekte im Normalfall von Künstler_innen durchgeführt. Als angestellter Lehrer_in an einer Schule hat man für die Realisierung andere Möglichkeiten: Musiklehrer_innen, die Musik-AGs im Rahmen ihrer eigenen Lehrtätigkeit in den Schulen initiieren, bekommen dafür sogenannte Abminderungsstunden. Im Community-Gedanken sind interessierte Lehrer_innen jedoch mit enthalten. Denn auch sie sollen ihre Erfahrungen einbringen können und sind deshalb herzlich eingeladen, wenn sie z.B. mit unserer Unterstützung eigene AGs anbieten wollen.
- Zweitens lehnt es sich an die Praxis der Community Musicians etwa in England und Australien an, in der sogenannte Community Musicians in musikvermittelnden Projekten tätig sind.*
Literatur und Links
http://www.soundsense.org/metadot/index.pl
http://www.communitymusicians.co.uk
http://www.musiccareer.com.au/index.php/Community_Musician
* Community Musicians meint im Grunde nicht nur Musiker_innen, für den vorliegenden Fall können diese jedoch als adäquate Zielgruppe behandelt werden. Es handelt sich dabei eher um eine konzeptionelle Idee, dass das Musikmachen für alle im Vordergrund steht. Ziele sind nach Kertz-Wetzel (2014) vor allem Inklusion, Kulturelle Teilhabe, Soziale Gerechtigkeit, Persönlichkeitsentwicklung und Musikalisierung der Gesellschaft. Lee Higgins bezeichnet Community Music als “an active intervention between a music leader or facilitator and participants. Music educators who work in this way intentionally create spaces for inclusive and participatory musical doing. As a perspective it resonates with a commitment to musical expression as a crucible for social transformation, emancipation, empowerment, and cultural capital. As an approach that places emphasis on conversation, negotiation, collaboration, and cultural democracy, community music practices gives “voice” to those who take part. It is an interventionist approach that involves a distinctive skill set such as those commonly used in non-formal education. As such community music, as an expression of non-formal music education, can act as a bridge between formal music education and informal music learning.”
ist Musiker, Musikpädagoge sowie Workshopleiter in der Populären Musik und Appmusik. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Künste Berlin sowie an der Universität Erfurt. Er forscht und publiziert in den Bereichen Hochschulentwicklung, pädagogische Fort- und Weiterbildung, technologievermitteltes Musiklernen, kollektive Lernprozesse beim Musizieren in Schule und Hochschule sowie Lehrer_innenprofessionalisierung. In seiner Dissertation – einer systemisch-konstruktivistischen Grounded Theory Studie – untersuchte er selbstständige Lernprozesse von Schüler_innengruppen beim Musizieren von Popmusik.
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