Forschung und Praxisprojekte zum musikalischen Umgang mit Apps an der Universität der Künste Berlin

Forschungsstelle Appmusik | 4. März 2015

Laut ARD/ ZDF-Onlinestudie 2013 besitzt jeder zweite Erwachsene ein mobiles Digitalgerät. Darüber hinaus besitzen sogar 90% der Jugendlichen ein eigenes Smartphone, wie in der aktuelle JIM-Studie 2014 nachzulesen ist. In der Schule jedoch müssen die Geräte in der Regel in der Tasche bleiben. Dabei können die darauf installierten Apps auf vielfältige Weise als Hilfsmittel für den Unterricht fungieren sowie Übe- und Probeprozesse unterstützen.

Hinweis: Der folgende Bericht von Marc Godau und Matthias Krebs über ihre Forschung und Praxisprojekte zum musikalischen Umgang mit Apps an der Universität der Künste Berlin, erschien in einer leicht gekürzten Fassung in der Zeitschrift Üben & Musizieren 01/2015 auf den Seiten 36/37.

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Bericht über Forschung und Praxisprojekte zum musikalischen Umgang mit Apps in der Zeitschrift Üben & Musizieren 01/2015.

 

Musik mit Apps

In den App-Stores existiert mittlerweile eine unüberschaubar Menge an Apps für die mobilen Digitalgeräte in der Kategorie “Musik & Audio”. Sich dort zurechtzufinden, wird für den Nutzer/die Nutzer_in zu einer echten Herausforderung. Mit der wachsenden Anzahl an Apps sind auch die kreativen Gestaltungspotentiale sowie die Integrationsmöglichkeiten in musikalische Praxen gestiegen. So gibt es auch spezielle Instrumenten-Apps, Synthesizer, Sampler und Drumcomputer sowie Lernapps für Musiktheorie und Gehörbildung oder das eigene Musikstudio im Appformat.

Seit Einführung von Mobilgeräten mit Touchbedienung werden Apps nicht allein zum rezeptiven Umgang mit Musik, sondern immer mehr für aktiv-gestalterische Prozesse genutzt. Neben YouTube-Videos von Profi- oder Hobby-Musiker_innen und einzelnen Präsentationen an Hochschulen verdeutlichen auch prominente Beispiele wie das auf iPads produzierte Album “The Fall” (2010) der Comic-Band Gorillaz, Björks Album “Biophila” (2011) als App und Paul McCartneys (2014) unlängst erschienene 3D-App, dass es hier um mehr geht als einen vorübergehenden Hype.

Insgesamt wir der Trend hin zu einem kreativen Umgang mit Musik mittels mobiler Medien für jedermann stetig wahrnehmbarer. Die vielfältigen Möglichkeiten sich mit Musik kreativ zu betätigen, sprechen neue Zielgruppen an und bieten Nutzer_innen mit wenigen musikpraktischen Erfahrungen einen Rahmen für musikalisches Tun.

Forschungsstelle Appmusik

Aus Anlass einer notwendigen Aufarbeitung dieses jungen, sich rasant entwickelnden Phänomens wurde die Forschungstelle Appmusik – Formen musikalischer Praxis mit Apps (FAM) von Matthias Krebs und Marc Godau gegründet. Angesiedelt am Berlin Career College der Universität der Künste Berlin ist es Ziel dieser Einrichtung, den Gegenstandsbereich zu systematisieren und gleichsam ein Netzwerk für Akteure und Interessierte aufzubauen.

Fragen nach neuen Formen des musikbezogenen Umgangs, dem Einfluss auf das Musiklernen oder die Ästhetik stehen aktuell im Fokus. Damit soll die Entwicklung musikpädagogischer Methoden und Konzepte vorangetrieben werden. Dabei ist die Forschungsstelle als eine offene Plattform für Wissenschaftler aus diversen Wissenschaftsbereichen gedacht. Gleichzeitig spielt auch die Entwicklung von Synergien zwischen unterschiedlichen Akteur_innen aus der Praxis eine wichtige Rolle. Musiker_innen und Musikpädagog_innen sollen Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches über die Spezifik künstlerischer Angebote mit Musikapps geboten werden. Einbezogen sind zugleich Vertreter_innen aus der Technologieentwicklung, Politik und Wirtschaft.

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Zwei Schülerinnen erkunden gemeinsam die App „iKaossilator“ (iOS) in einer Appmusik-AG am Nachmittag. / Foto: Matthias Krebs

Um ein transparentes Vorgehen zu realisieren, orientiert sich die FAM an den Prinzipien von Open Science. Damit verbindet sich der Anspruch, Wissenschaftsinhalte breiter zu kommunizieren, Forschungsprozesse für Interessierte verständlich zu machen und sie daran teilhaben zu lassen. Einerseits werden Fragestellungen, Daten, Ergebnisse sowie entwickelte Methoden und Materialien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Andererseits werden Anregungen mit dem Anspruch einer kollaborativen Wissenschaft einbezogen. Dahingehend werden auf dem Blog der Forschungsstelle regelmäßig Artikel zum Schwerpunkten Musiklernen und -lehren mit mobilen Digitalgeräten als Anstoß des gegenseitigen Austauschs veröffentlicht (www.forschungsstelle.appmusik.de/blog).

Auszeichnung für app2music

Ein erstes größeres im Rahmen der Forschungsstelle konzipiertes Projekt ist »app2music – Appmusik-AGs an Berliner Schulen«, dem jüngst am 22.11.2014 der Dieter-Baacke-Preis in der Kategorie Projekte von und mit Jugendlichen verliehen wurde. Dieses Projekt stellt insgesamt ein prototypisches Format musikpädagogischer Praxis mit Apps dar, das durch ein Studium zahlreicher Appmusikprojekte vorbereitet wurde.

Bei »app2music« werden seit Anfang 2014 an einer Reihe von Schulen Musik-AGs angeboten, in denen Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Herkunft und Klassenstufen gemeinsam auf Tablets und Smartphones installierten Apps Musik machen können. Gefördert wird es von den Berliner Projektfonds für Kulturelle Bildung.

Das Video zeigt eine Szenenauswahl aus einer Appmusik-AG im April 2014. Mehr dazu hier

Zentral für dieses Projekt sind zwei Säulen: Die erste beschreibt das kollaborative Musiklernen auf Grundlage individueller Musikpräferenzen und in Form des Nachspielens von Popsongs in Ensembles, Experimentierens mit Klangcollagen, Improvisierens oder Erstellens von Gruppenkompositionen. Die Schüler_innen bringen eigene Vorschläge ein, diskutieren diese und treffen als Gemeinschaft Entscheidungen über das weitere musikalische Handeln. So steht nicht einzig das Spielen der Lieblingsmusik im Fokus, sondern genauso die Begegnung mit ästhetischen und kulturellen Unterschieden der anderen. Teilnehmer_innen unterschiedlicher Herkunft, Altersstufen und mit heterogen Vorerfahrungen treffen in den Musik-AGs aufeinander. Begünstigt wird das gemeinsame Musikmachen mit Apps durch die Möglichkeiten der Anpassung an die eigenen Fähigkeiten, die intuitive Bedienung, die unvoreingenommene Auseinandersetzung mit einem kulturell nicht vorbelasteten Musikinstrumentarium, das Vergnügen sich mit Technik zu beschäftigen und das schnelle Sichtbarwerden von Erfolgen. Einzige Voraussetzung ist das Interesse am gemeinsamen Musikmachen. Und gemacht wird das, worauf sich die Gruppen einigen können. Die mitwirkenden Pädagog_innen sind in der Rolle des ermöglichenden Mitglieds. Sie helfen, die Ideen der Kinder und Jugendlichen mit ihnen gemeinsam umzusetzen. Sei es etwa durch Bereitstellen mobiler Digitalgeräte, Unterstützen beim Heraushörenden von Musik, Förderung der Gruppenkommunikation oder als Mitspieler_in in der Band.

Die zweite Säule ist die Dokumentation und Reflexion der in den AGs gesammelten Erfahrungen auf einem Blog (www.app2music.de/blog). In Artikeln samt eingebundener Videos und Fotos werden Fortschritte im Projekt für eine breite Zielgruppe (Eltern, Lehrer_innen und Interessierte) aufbereitet. Aber auch die Kinder und Jugendlichen selbst können sich so über den Stand der anderen Gruppen informieren und als Anregung für die eigene AG nutzen. Zu den Themen des Blogs gehören Prozessverläufe, methodisch-didaktische Überlegungen, gruppendynamische Entwicklungen, Vorstellung verwendeter Apps sowie die kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Projektzielen. Außerdem werden Ausschnitte aus Schulkonzerten und Ergebnispräsentationen der AGs gezeigt.

Touch:Music – Qualifizierung im Bereich Kulturelle Bildung

Neben der Weiterentwicklung von »app2music« konzentriert sich die derzeitige Arbeit der Forschungsstelle Appmusik auf die Entwicklung und Erprobung eines Weiterbildungsangebotes für Musiker_innen, das unter dem mit dem Titel “TOUCH:MUSIC” vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. In diesem dreijährigen Verbundprojekt der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel und der Forschungsstelle Appmusik wird ein Zertifikatskurs konzipiert, der unter dem Namen »Zertifikatskurs tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung« bereits seit August 2015 in einem ersten Durchgang erprobt wird. Interessierte Musiker_innen aller Genres können sich bewerben.

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Seminarszene: Musikpädagogische Konzepte mit Musikapps. / Foto: Finn Dorian

Mit diesem Qualifizierungsangebot werden Musiker_innen befähigt, musikalische Kulturprojekte mit Apps im Nachmittagsbereich der Schulen und an außerschulischen Bildungsorten zu initiieren. Die künstlerische Expertise und die eigenen Medienerfahrungen werden dahingehend reflektiert, wie musikalische Gestaltungsprozesse unterschiedlicher Zielgruppen pädagogisch unterstützt und im Sinne eines Lernens in Praxisgemeinschaften gefördert werden können. Darunter subsumieren sich Themenkomplexe wie das mobile Musiklernen in formalen und informellen Kontexten, Möglichkeiten des künstlerisch-praktischen Umgangs mit Musikapps oder Methoden musikalischer Bildungsarbeit.

Austausch

Smartphones und Tablets sind heutzutage verbreitete digitale Alltagsgeräte. Dabei steht die Auseinandersetzung mit Musikapps als Instrumentarium für den kreativen Umgang mit Musik noch am Anfang. Teilweise werden Vorwürfe laut, dass tradierte Unterrichtsmodelle durch den Einbezug mobiler Digitaltechnologien verdrängt werden sollen. Insgesamt darf die größtenteils geleistete Pionierarbeit auf diesem Gebiet nicht als Missionierungsarbeit verkannt werden. Der Umfang des Einsatzes in Lehr-Lern-Kontexten ist zu variabel und vielfältig, als dass er sich auf eine Praxis beschränken ließe. Die Zukunft liegt genauso in hybriden wie auch in technologiezentrierten Formen musikalischen Umgangs mit Apps.

Wie deutlich wurde, strebt die Forschungsstelle eine wissenschaftliche Fundierung des bislang wenig beachteten Phänomens musikalischer Praxen mit Apps an. Auch Sie können an dieser Entwicklung mitwirken. Wir möchten Sie herzlich einladen, mit uns über ihre Erfahrungen mit Musikapps in Kontakt zu treten. Schreiben Sie uns Hinweise, Fragen, Probleme per Mail oder kommentieren Sie unseren Blog, damit eine breite Basis musikpädagogischer und -ästhetischer Betrachtungen des Themengebietes geschaffen werden kann.


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